LGBT+-Manga und Romane fand ich bis jetzt immer schon gut, aber identifizieren konnte ich mich mit den Figuren meist weniger im Unterschied zu BL. Beim Manga war das schon anders und er hatte mir sehr gut gefallen, aber erst der Roman haute richtig rein. Gründe dafür waren vor Allem Absätze wie dass er lieber ein Leben lang Single bleiben will als zum Top zu werden, hoho~, oder der Hass auf Standardfloskeln wie "Du bist okay, so wie du bist" - ich hab' als Teenager auch immer mit den Augen gerollt, wenn Erwachsene versucht haben, Selbstmord als Thema anzuschneiden mit schwerfälligen Phrasen wie "Es gibt soooo viel, für das es sich zu leben lohnt!!" und bei denen ich mir dachte "Ich bin nicht suizidal, aber wenn ich mir das noch länger anhören muss, werd' ich's noch". Ich war ebenfalls ziemlich spätzünderisch - da überrascht mich, dass er ziemlich früh seine Attraktion bemerkt - Mittelschule - aber seine Identität erst in den 20ern. Ich schätze, im Umfeld jetzt, (und möglicherweise ortsabhängig) in dem Attraktion und Identität noch stärker koppeln, ist die Zeit zwischen den beiden Augenblicken im Durchschnitt sehr viel kürzer oder sogar instantan. Tja, aber wer weiß, ob ich die BL-Welt kennengelernt hätte, wenn ich das ganze character development früher gemacht hätte, also schlussendlich passt das alles.
Außerdem mochte ich Kleinigkeiten wie Hokkaido als Schauplatz - ich liebe ja den Winter.
Die Entfernungen im Manga sind nicht nur quantitativer Natur - mir kam es vor, als ob auch einige der edgy-esten Szenen entfernt wurden - außerdem viele Referenzen zu Internationalem.
Mir hat gefallen, wie viele Charakterschwächen Ryousuke hatte. Impulsiv, gehässig, manipulativ und auf unethische Art promisk. Sehr amüsant zu lesen, z.B., wie er das halbe Jungenwohnheim verführt. XD Auch wenn ich mir beim vierten Mal, als er einer Liebesrivalin mal wieder Schimpfwörter an den Kopf wirft, gedacht habe "Okay, jetzt reicht's auch mal" war auch das wichtig. Später spitzt sich das ja noch, was im Manga nicht vorkommt, indem er auf seinen aktuellen Partner einschlägt - in letzter Zeit ist ja die Kontroverse um gegenseitigen und/oder reaktiven Missbrauch heftig geführt worden (hier physischer Missbrauch als Antwort zu langem emotionalem Missbrauch) - ob und inwiefern das kategorisiert werden sollte und auch die Missstände, was die Hinwendungsmöglichkeiten für männliche Missbrauchsopfer angeht, waren da im Gespräch.
Das Kapitel mit Hiroki wurde ebenfalls vollständig nicht adaptiert - Drogenmissbrauch, Wahnvorstellungen, Trauma und eine Abwärtsspirale durch allseitige Kommunikationsunfähigkeit. Tatsächlich ist dieses Kapitel, finde ich, das einzige, bei dem Ryousuke sich nicht seine Fehler eingesteht. Es gibt keine klärende Kommunikation seinerseits, weder über Hirokis Fetische (er erwähnt niemals, dass er Hiroki klar sagt, dass er die ganzen Fetische gar nicht teilt bzw. dass sie da einen Kompromiss zwischen Fetisch- und Vanilla-Sex finden wollen) noch wirklich über die Drogen. Das hat mich überrascht - sonst ist er den ganzen Roman über sehr selbstreflektierend; fast schon zu sehr, was die Stelle im Nachwort zeigt, in dem er seinem Lehrer für die Rügen, sich nicht so feminin zu verhalten, bedankt. Ging mit ein wenig in die "Homosexualität sollte man offen ausleben können, aber nicht Femininität"-Richtung, obwohl er trans Tochter einer Leserin ja positiv hervorhebt. Was macht diesen Lehrer so anders als die ganzen anderen Leute, die ihm gesagt haben, sein Verhalten zu ändern, und deren Verhalten er auch gegen Ende des Bandes nicht gutheißt?
Na ja, im letzten Kapitel konnte ich dafür nochmal laut lachen beim Diebstahl des Portmonees. Das war so absurd, dass ich nicht anders konnte, obwohl's natürlich 'ne ersnte Sache ist im Sinne von systematischer Diskriminierung.
Bei der Übersetzung hätte ich mir an zwei Stellen ein Glossar gewünscht. Einmal interessiert mich die Originalvokabel zu Gayfährten und andererseits der Unterschied zwischen Land- und Stadtdialekt im Sinne von "super" und "überaus", bei dem Zweiteres zwar "gehobener" wirkt, aber so in der deutschen Fassung halt einfach nicht funktioniert - ein Abstrich in der sonst sehr guten Übersetzung.
Sehr schöner Band trotz Quengeleien meinerseits. Bei special interest lege ich die Messlatte sehr hoch, deswegen habe ich auch immer was dran auszusetzen, obwohl sie mir immer gut gefallen. Ich mach' diesmal nur keinen Avatar - sind ja reale Personen und Keinzell darf gern noch ein wenig länger bleiben~.
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