Erstmal die problematischste Meinung zunächst, also zu Midori: Ich bin da, auch mit den Ergänzungen, die hier erfolgt sind, ganz bei @
Eraclea - wenn man den Druck ~der Gesellschaft~ als Handlunsgrund benutzen will, muss man ihn auch zeigen. Dass Midori nicht einsam sterben will, ist für mich keine Erklärung, warum sie sich in eine heterosexuelle Beziehung flüchtet. Vielmehr wird ihr Verhalten so nur noch unlogischer - denn mit Maki wäre das objektiv ebenfalls möglich. Sie will so schnell wie möglich eine Beziehung, die ebenfalls lange anhält. Und wenn man darstellen will, dass Midori denkt, mit einer homosexuellen Beziehung würde das nicht funktionieren, muss man zeigen, warum sie so denkt. Hat sie solche zerbrechenden Beziehungen gesehen? Hat sie das aus den Medien? Tatsächlich wird der gesellschaftliche Druck gezeigt - aber halt bei Maki, nicht bei Midori. Außerdem (und das erwähne ich ja immer wieder gerne) ist eine Erklärung keine Rechtfertigung. Ihr Verhalten ist mies - das kann erklärt werden, aber nicht gerechtfertigt. Und es stimmt, dass die Aktionen von psychisch angeschlagenen Menschen aus Laiensicht nicht immer Sinn ergeben, aber das liegt nicht an einer inhärenten Aufhebung des Kausalitätsprinzips, sondern dass die meisten Menschen diese Kausalität nicht erkennen können - und die Kraft der Fiktion ist es gerade, das zu können.
Zum Punkt, dass der gesellschaftliche Einfluss und die Stellung der Frau nicht dargestellt werden muss, weil er im japanischen Milieu erwartet wird und das nicht erwartet werden muss: Genau das ist der Punkt, warum ich Serien wie Tokyo Girls feiere - weil sie diese Sachen eben doch darstellen - z.B. konnte ich dort besser nachvollziehen, warum sich eine Charakterin in eine Affäre mit einem verheirateten Mann begibt, trotz kultureller Barriere. Die Reihe war so gut gemacht, dass ich für die Charakterin gehofft habe, dass alles gut geht und nicht leugnen kann, in ihrer Situation die gleichen Entscheidungen getroffen hätte, obwohl rückblickend alle Alarmglocken schrillten - und hier kam das nicht so gut rüber. Ebenfalls erinnere ich gern an meinen Zweitlieblingsroman "The Tenant of Wildfell Hall", in dem eine sehr ähnliche Konstellation vorliegt - die Geschichte spielt im viktorianischen England, das noch repressiver war als das heutige Japan (Und es gab auch nicht die Möglichkeit der Lizenzierung in ein Land mit signifikant stärkerer Gleichberechtigung) und wenn eine solche Reihe es hinbekommt, diese Einflüsse und gesellschaftliche Dynamik gut darzustellen, warum nicht diese hier? Das Problem ist halt echt, dass mir bei Mangas, sobald sie versuchen, ein gehobeneres Thema anzuschneiden, stets ein Klassiker einfällt, der das zigmal besser und vielschichtiger hinbekommt. Das führt dann zu einer paradoxen Situation: Je geschliffener der Manga, desto stärker fällt die subjektive Qualitätwahrnehmung~.
Jetzt kommt aber die 180°-Wendung: Gerade weil Midori für mich keine Sympathieträgerin ist, gefällt mir die Reihe ziemlich gut! Der Vergleich mit Wildfell Hall ist auch positiv gemeint - es fühlt sich fast wie eine Art Fanfiction mit Helen und Milicent als Paar aus dem Roman an - die Beziehung von Midori und Tonoike war auch sehr ähnlich zu der von Milient und Ralph Hattersley. Dieses Gespräch könnte, nach etwas mehr Selbstreflektion, also vielleicht in Band 2, von ihnen stammen:
“A man must have something to grumble about; and if he can't complain that his wife harries him to death with her perversity and ill-humour, he must complain that she wears him out with her kindness and gentleness.” “But why complain at all, unless, because you are tired and dissatisfied?”
“To excuse my own failings, to be sure. Do you think I'll bear all the burden of my sins on my own shoulders, as long as there's another ready to help me, with none of her own to carry?”
Im Gegensatz zu Wildfell Hall finde ich es aber gut, dass Tonoikes Vergangenheit sowie die Gründe, die zu seiner Gewalttätigkeit führen (Erneut: Erklärung, nicht Rechtfertigung) - in dem Sinne funktioniert die Reihe sehr ähnlich wie "Love Whispers in the Rusted Night" mitsamt Folgebänden, insbesondere Azami. Wie geht es weiter? Nun, entweder schafft es Midori, sich zu ihrer Liebe zu Maki zu bekennen - oder es läuft wie in Wildfell Hall, aber was das bedeutet verrate ich mal nicht.
Was sonst schlecht in meine Textwand reinpasst: Die Freundin von Maki ist auch eine gelungene Addition zur Geschichte! Damit bekommt man auch die Unterschiede in der Wahrnehmung der Generationen mit~.
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