[...] Verloren im Irrationalen
Die Irre von Sacré-Coeur, der erste Teil von Lust & Glaube, lässt sich wunderbar als Gesellschaftssatire lesen, bei der sowohl die Intellektuellen als auch die religiösen Spinner ihr Fett abkriegen. Die Selbstverständlichkeit und Arroganz, mit der Elisabeth, Joseph und Maria von ihrer göttlichen Mission überzeugt sind, wirkt ebenso ätzend wie Alains Opportunismus, der sich unter dem Diktat weiblicher Reize zum Erfüllungsgehilfen von etwas machen lässt, was er eigentlich für puren Irrsinn hält. Die Texte sind dabei so spürbar sophisticated, dass das immer abgedrehter werdende Szenario nicht plump wirkt.
Im zweiten Teil, Gefangen im Irrationalen, bekommt die Geschichte aber einen neuen Dreh: Sämtliche Prophezeiungen von Elisabeth erweisen sich als zutreffend, dank göttlicher Wunder lösen sich Alains finanzielle Probleme, übersteht das Quartett unbeschadet die Schießereien des Drogenkrieges, in den sie hineingeraten, verwandelt sich Maria nach und nach in »Jesusa«, den zweitgeschlechtlichen Heiland – und plötzlich ist das nicht mehr die Geschichte eines vernunftbegabten Arschlochs unter lauter Irren, sondern die eines verblendeten Intellektuellen, der nicht annehmen kann, dass um ihn her Wunder geschehen. Und das kann einen als Leser so ein bisschen aus der Bahn werfen.
Man weiß irgendwie nicht mehr, wo es mit einem hinwill, dieses Autorenduo. Während Jodorowsky seinen Plot immer ernster zu nehmen scheint und der widerspenstige Philosoph, der lange Zeit nur in Zitaten großer Denker gesprochen hat, auch noch bei einer wundertätigen indianischen Schamanin im Dschungel landet, wird der Stil von Moebius immer karikaturhafter. Während der erste Teil vom Stil noch stark an den »klassischen« Moebius aus John Difools Zeiten erinnert, werden die Zeichnungen im zweiten Album expressiver, fahriger, die Farbgestaltung nimmt eher einen symbolhaften als einen ästhetischen Zug an. Während das jedoch ein schleichender Prozess war, wirkt der Bruch im dritten Album, Der Irre von der Sorbonne, so drastisch, dass man zuerst glaubt, ein neuer Zeichner hätte übernommen und sich dazu entschlossen, in Cartoons zu verwandeln, was vorher noch Charaktere waren.
Es spricht für Moebius´ Wandlungsfähigkeit als Zeichner, wie er es schafft, zwischen derart verschiedenen Stilen zu changieren, doch es ist schon verwunderlich, wenn Zeichnungen und Story unterschiedliche Botschaften senden. Man hat nämlich das Gefühl, dass es Jodorowsky ernst ist damit, das Eliminieren des Philosophierens und kritischen Denkens als Heilsweg zu verkünden. Doch dieser Plot führt dazu, dass die Hauptfigur immer clownesker wird: Alain tritt in seiner Entwicklung permanent auf der Stelle. Er erlebt eigentlich schon im zweiten Band so viele Wunder, dass sein ständiges Hadern, Zweifeln und Nörgeln trotz all dieser Erfahrungen etwas zäh wirkt. Alain muss sich gegen die Bekehrung wehren, damit Jodorowsky alle Register ziehen kann.
Mit Jodorowsky kann es einem ein bisschen so gehen, wie mit David Lynch und seiner Begeisterung für die Transzendentale Meditation: Wenn man weiß, was für abgefahrenes Zeug der Künstler in seinem Privatleben treibt, bekommt die ansonsten sehr angenehme Verstörung, die sein Werk beim Betrachter auslöst, einen merkwürdigen Beigeschmack und man fürchtet, dass irgendwo dahinter eine ernst gemeinte Bekehrungsabsicht lauert.
Doch die Geschichte ist viel zu überzogen, zu voll von Plot-Wundern, um wirklich für Spiritualismus werben zu können. Ist die Übersteigerung ins Bizarre also doch nur ein Spaß, an dem Autor und Zeichner mehr Freude hatten, als daran, die Satire zu einem bitteren, aber realistischen Ende zu bringen? Jodorowsky und Moebius sind nun einmal begnadete Erzähler und sich von ihnen derart verwirren zu lassen, kann immer noch unterhaltsamer und spannender sein, als die Lektüre von plumpen Satiren, deren Standpunkt von vornherein feststeht. Solange man Lust & Glaube einfach als abgefahrene Geschichte liest, ist man zumindest gut unterhalten.
Außerdem hat die Gesamtausgabe ein lila Lesebändchen! Ob auch dahinter eine Bedeutung verborgen ist?
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