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Thema: Comic-Stammtisch: V wie Vendetta

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    Post Comic-Stammtisch: V wie Vendetta

    V


    wie


    V E N D E T T A




    Orginaltitel:
    - V for Vendetta 1988-1990 - DC Comics

    Deutsche Veröffentlichung: Juli 1990 - Juli 1991 in 6 großformatigen Farb-Alben
    Verlag: Carlsen
    Autor : Alan Moore
    Zeichner: David Lloyd

    Außerdem wurde der Titel noch im Juni 2003 als S/W Buch bei Speed veröffentlicht
    und im Januar 2006 begleitend zum Film noch einmal in einer farbigen Ausgabe bei Panini präsentiert.



    Autor: Alan Moore

    Der Brite Alan Moore (*18. November 1953) wurde als Autor und Co-Autor von Comics berühmt.
    Zu Beginn seiner Karriere zeichnete Moore kurze Comicstrips für Zeitschriften. Nach dem er sich einen Ruf als Schöpfer Bahn brechender Comics gemacht hatte, wurde er von DC Comics engagiert, um an der Comic-Heftserie Saga of the Swamp Thing zu arbeiten. Dabei legte er den Grundstein für die Welt der späteren Vertigo-Comics. 1986 schrieb er die Superhelden-Miniserie Watchmen (illustriert von Dave Gibbons), die zusammen mit Frank Millers The Dark Knight Returns das Genre des Superhelden-Comic neu definierte und auf das Niveau der Graphic Novel hob.
    Moores Stil erweiterte die Grenzen des Mediums Comic. Seine Geschichten enthalten oft Themen oder beschäftigen sich mit Dingen, die vorher nie in Mainstream-Comics angerissen wurden. Beispielsweise enthält die neunte Ausgabe des Miracleman die Darstellung einer natürlichen Geburt, etwas das bis dahin in Comics Tabu war. Er experimentierte mit Symbolen anstelle von Texten, legte mehr Wert auf Hintergrund und Details, während er »Sound Effekte«, Sprechblasen und Unterschriften minimierte oder ganz wegließ.
    Moore gab an, dass er das Medium Comic erweitern wolle. Die Leser sollten mehr erleben als endlose Wiederholungen von Kämpfen zwischen kostümierten Superhelden. So begann er mit Projekten wie Lost Girls (einem Erwachsenencomic, mit Charakteren aus der Viktorianischen Ära), From Hell (eine Geschichte über Jack the Ripper) und Big Numbers. Er verbrachte die frühen 90er Jahre mit diesen Projekten, aber lediglich From Hell wurde bislang abgeschlossen und 1999 veröffentlicht.
    Moore wandte sich Mitte der 90er Jahre dem Gnostizismus zu. Seine späteren Werke spiegeln sein neu entstandenes Interesse am Bewusstsein Mystizismus und der Magie wieder.
    In den späten 90ern wandte Moore sich wieder den Superhelden-Comics zu und schuf The League of Extraordinary Gentlemen, Promethea, Tom Strong, Tomorrow Stories und Top 10.
    From Hell und The League of Extraordinary Gentlemen wurden beide in Hollywood verfilmt; V wie Vendetta wurde gerade mit Natalie Portman und Hugo Weaving in Babelsberg gedreht und Paramount Pictures plant eine Verfilmung von Watchmen.
    Die Biografie ALAN MOORE: PORTAIT OF AN EXTRAORDINARY GENTLEMAN erschien in seinem fünfzigsten Lebensjahr. Alle Einnahmen aus dem Verkauf sollen wohltätigen Zwecken zugeführt werden.
    Alan Moore ist praktizierender Magier. Er ist auf einem Auge blind und auf einem Ohr taub.
    [Quelle: Literaturzirkel]



    Zeichner: David Lloyd

    Der Engländer David Lloyd, geboren 1950, begann 1977 als Zeichner für Halls of Horror, TV Comic und Marvel UK. Mit dem Autor Steve Parkhouse schuf er die Pulp-Adventure-Figur Night Raven.
    1982 beauftragte ihn Dez Skinn, der frühere Herausgeber von Marvel UK mit der Entwicklung einer neuen Figur für das neu gegründete Warrior Magazine.
    In Zusammenarbeit mit Alan Moore entstand V FOR VENDETTA, das Lloyd einen ausgezeichneten Ruf als Illustrator einbrachte.
    David Lloyd arbeitete auch mit dem Autor James Hudnall an ESPers (Eclipse Comics), mit Grant Morrison und Jamie Delano an Hellblazer, mit Garth Ennis an War Story (beide DC) und mit Warren Ellis an Global Frequency (Wildstorm).
    Für den französischen Verlag Editions Carabas kreierte er die Graphic Novel Kickback.
    Außerdem arbeitet er als Lehrer für Zeichner-Nachwuchs an Englands einziger Comic-Akademie, dem London Cartoon Center. David Lloyd lebt derzeit in Brighton, England
    [Quelle: Literaturzirkel]






    Hier noch Links für weitere Informationen:
    Alan Moore
    David Lloyd




    V wie Vendetta


    Remember, remember the fifth of November
    Gunpowder treason and plot.
    I see no reason why gunpowder treason
    Should ever be forgot …




    »Guten Abend London. Es ist neun Uhr und hier spricht die Stimme der Vorsehung. Wir schreiben den 5. November 1997.«

    Nach einem mit nuklearen Waffen geführten dritten Weltkrieg, welcher die britischen Inseln nur knapp verschonte, kann die Norsefire-Partei unter ihrem Führer Adam Susan, Ihr faschistisches Regime aufbauen und an der Themse die Macht übernehmen.
    Die Überwachung der Bevölkerung ist lückenlos – jedes Aufbegehren gegen das System wird schon im Keim erstickt.
    Der Führer regiert mit Hilfe eines antropomorphisierten Herrschaftsapparates: Auge, Ohr, Mund, Nase und Finger sind die Bezeichnungen für das allumfassende Beobachtungssystem aus Kameras und Mikrophonen, das Propagandawesen in Fernsehen und Rundfunk, die Ermittlungsbehörden und zuletzt die Exekutive.
    Fate, ein als Vorsehung oder Schicksal bekannter Superrechner bietet das Mittel zur zentralen totalen und zuverlässigen Kontrolle und Planung.
    Schwarze, Pakistanis, Sozialisten, Homosexuelle, Intellektuelle und andere „Abweichler“ wurden in Konzentrationslagern umgebracht. Die Kultur der Vergangenheit wurde beseitigt; es gibt bestenfalls Militärmusik und stumpfsinnige Fernsehsendungen wie „Storm Saxon“, in der ein echt arischer Übermensch seine blonde, blauäugige Heidi vor den Angriffen schwarzer, untermenschlicher Kannibalenhorden verteidigen muß.
    Doch eines nachts geschieht das Unmögliche.
    Ein Unbekannter sprengt das Parlamentsgebäude – mit großem Knall zeichnet er seine Signatur in den Himmel

    V


    Sein Markenzeichen ist eine Guy-Fawkes-Maske und diese trägt er nicht ohne Grund.
    Eine weitere Schlüsselfigur ist das junge Mädchen Evey Hammond. Schon früh seine Eltern verloren treibt sie ihre Not in die Prostitution. V kann sie aus den Händen der Schlägertruppen des Fingers retten und nimmt sich ihrer Obhut an. Im Zentrum seines Unterschlupfes – der Schattengalerie – entdeckt sie zum ersten Mal in ihrem Leben Dinge die ihr bisher völlig unbekannt blieben, wie Bücher, Filme oder Musik.
    Er beginnt systematisch seine Gegner zu töten, allesamt ehemalige Mitarbeiter des Larkhill Resettlement Camp. Darunter die Stimme der Vorsehung Lewis Prothero, der pädophile Bischof von Westminster Anthony Lilliman und die Pathologin Delia Surridge.
    Diese wurden für Ihre fürchterlichen Taten, die sie ehemals in Larkhill begingen bestraft und gleichzeitig verwischt dadurch die Spur von V.
    So kann der für die Nase arbeitende Polizeidetektiv Eric Finch, der sich an das Regime verkauft hat, weil er keine bessere Alternative sieht und Ordnung für nötig hält, nur schwer die Gedanken und Wege seines Kontrahenten erahnen. Doch nach einer Reihe von Anschlägen und Attentaten findet er schließlich heraus, daß V der einzige Überlebende von in Larkhill durchgeführten medizinischen Experimenten ist.
    Derweil bereitet V seinen größten Coup vor, mit welchem er Anarchie unter der Bevölkerung auslösen und Ihr so einen Neuanfang in Freiheit und Demokratie ermöglichen will.
    Zum Gelingen seines Vorhabens benötigt er allerdings die Hilfe Evey´s, die angesichts der rabiaten Vorgehensweise V´s in einen Gewissenskonflikt gerät. Sie kann die Tötung von Menschen unmöglich akzeptieren – ist aber nicht in der Lage sich ganz von V zu lösen, der ihr mittlerweile Freund, Vater und Geliebter zugleich wird. V erkennt Ihren Konflikt und überzeugt sie durch ein einmaliges und erschreckendes Experiment – indem er sie ähnlicher Folter und Grauen aussetzt, welcher er seinerseits in Larkhill erdulden musste.
    V kommt der Vollendung seines Plans immer näher. Mittels Sprengstoff beraubt er dem Regime seiner Augen, Ohren und seines Mundes. Chaos bricht auf den Straßen aus.
    Der vom Fate-Computer besessene Führer zerfällt geistig, seine Untergebenen schmieden Intrigen und tragen so zum Zusammenbruch bei. Finch durch LSD in einen Wahnzustand versetzt, betreibt Spurensuche im verlassenen Gelände von Larkhill, an dessen Ende er, wie V und Evey vor ihm, zur Erkenntnis gelangt, daß niemand ihm Grenzen auferlegen kann außer er sich selbst; er schlüpft in den Geist V ´s und findet so zu dessen geheimem Stützpunkt, der Schattengallerie, einem Hort vergessener Kulturschätze und anarchistischer Ausrüstung, darunter auch ein geheimer Zugang zum alles überwachenden Fate-Computer.
    Von V entdeckt kommt es zu einem Duell bei dem Finch verletzt, V aber durch Schüsse so schwer getroffen wird, daß er kurz darauf in Evey´s Armen verstirbt. Doch nicht bevor er seine herangezogene Nachfolgerin auf den großen Showdown einzuschwören kann.
    Mit einem letzten großen Paukenschlag, soll ein mit Sprengstoff beladener U-Bahnzug unter Downing Street No.10 explodieren,
    um dem Volk den Weg in die Freiheit zu ebnen, um aus den Ruinen emporzusteigen, eine neue Gesellschaft zu gründen und in Eigenverantwortung Ihr Schicksal in die Hand zu nehmen.
    Gleichzeitig dient der Rosenbeschmückte Zug für V als Wikinger-Begräbnis in sein Eintritt nach Walhalla.
    Evey schlüpft in seine Rolle, ziert sich mit seinem Kostüm, streift die Guy-Fawkes-Maske über und stachelt die Menschenmassen zum Aufstand an.
    Eric Finch, sagt sich von Allem los - auch für Ihn beginnt ein Neuanfang mit ungewisser Zukunft.


    END




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    Geändert von hipgnosis (01.04.2006 um 13:28 Uhr)

  2. #2
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    "Anarchy for the U.K., it’s coming sometime"
    Johnny Rotten (Sex Pistols)

    "Alan Moore ist ein Genie!"
    Ich

    Verortung der Vorgänger

    Ist V ein Rip-off ?

    Man mag kaum an Zufall glauben, aber tatsächlich existiert ein Buch mit dem lapidaren Titel V, eines, das dem gleich"namigen" Comic-Helden nicht unbekannt ist (er liest es auf Seite 64, Bild 7 des Trade Paperback).

    Der Autor des Buches, Thomas Pynchon, verstand es, sich mit einer vergleichbar mysteriösen Aura zu umgeben wie der Mooresche Anarchist. So lebt der Amerikaner seit Veröffentlichung seines Romans V im Jahre 1963 in scheinbar absoluter Anonymität. Nahezu keinem Journalisten ist es gelungen, ihm seit genanntem Jahr näher zu kommen, lediglich ein Interview wurde - nicht ganz freiwillig - gegeben.
    Vor einigen Monaten wurde im Deutschen Fernsehen eine Dokumentation ausgestrahlt, in der man sich erneut auf Spurensuche nach diesem fast schon zum Mythos gewordenen Autor begab.

    Pynchons wenige Bücher (ca. eines pro Jahrzehnt) sind nicht einfach zu lesen. Sie sind politisch-subversiv und berichten von Unterdrückung und gesellschaftlichem Niedergang, stellen Ordnung und Anarchie als den Gegensatz von Anpassung und Freiheit dar.

    Trotz all dieser Parallelen: Der Roman V hat mit dem Comic inhaltlich wenig gemein, allenfalls, dass der Buchstabe V in beiden Werken eine bedeutende Rolle spielt.
    Dennoch könnte Moore den griffigen Titel als Anregung für die "Namens"gebung seiner Hauptfigur gesehen haben.
    Diese Bezeichnung soll einem im Trade Paperback als Nachwort gedruckten Artikel* zufolge ebenso wie das Aussehen des Helden (nach einer Idee von Lloyd) bereits festgestanden haben als Dez Skinn, ein Freund und Herausgeber des Warrior Magazine (siehe hipgnosis' erstes Posting), den Titel V for Vendetta vorschlug, interessanterweise ohne zu wissen, in welche Richtung sich die Story entwickeln sollte. Skinn war jedoch neben dem Kürzel V für die Titelfigur bekannt, dass ein unter dem Titel Vendetta geplantes ähnliches Projekt von Moore zuvor abgelehnt wurde.
    Da liegt es nahe anzunehmen, dass die Idee Skinns einer Assoziation mit dem Titel Z wie Zorro entsprang, schließlich ist auch der Mexikaner ein Held der Unterdrückten, der den Kampf gegen korrupte Politiker aufnimmt.

    In o.g. Artikel werden u.a. als Einflüsse genannt: George Orwell (1984), Aldous Huxley (Schöne neue Welt) und Ray Bradbury (Fahrenheit 451), die drei der vier wichtigsten klassischen Dystopien geschrieben haben (die vierte ist das wunderbare Buch Wir von Samjatin), außerdem wird Thomas Disch erwähnt (sicher meint Moore dessen Buch Camp concentration, ein in einem totalitären Amerika spielender Roman in dem in Konzentrationslagern Menschenversuche durchgeführt werden).
    Dass Moore in seiner Aufzählung auch Robin Hood nennt, verleiht der obigen, Zorro betreffenden These zusätzliche Glaubwürdigkeit.

    Ein anderer Schriftsteller, der im Comic nicht nur gelesen sondern über den auch gesprochen wird, ist der ungarischstämmige Engländer Arthur Koestler. Eigentlich verwunderlich, dass dieser Autor in Moores fiktiven England nicht verfemt ist**, stand er dem Faschismus doch scharf ablehnend gegenüber. Die Exekution eines vom spanischen Franco-Regime ausgesprochenes Todesurteil konnte 1937 durch Intervention der britischen Regierung abgewendet werden.
    Koestler war Zionist und Kommunist. Von letzterem sagte er sich 1940 los und klagte Stalins Menschenrechtsverletzungen in einem seiner Romane bitter an.
    Sein 1943 geschriebenes Arrival and departure gilt als der erste literarische Bericht über ein KZ.
    Sein politisch-schriftstellerisches Schaffen ist geprägt von Fragen zum revolutionären Engagement: Ob der Zweck die Mittel heiligt und warum Menschen an Ideale glauben, die sie irrational denken und handeln lassen.
    Insofern darf er in einer Aufzählung der Einflüsse nicht fehlen.
    Auch der auf Seite 173, Bild 3 kurz erwähnte polnische Schriftsteller Jakob Bronowski beschäftigte sich in seinem Werk mit dem Phänomen menschlicher Gewalt.

    Da die explizit genannten Schriftsteller die Themata in V for Vendetta zumindest berühren, darf eine von diesen ausgehende - zumindest partielle - Beeinflussung des Autors vermutet werden.

    *= ursprünglich veröffentlicht in Ausgabe 17 (1983) des Warrior Magazine

    **= zumindest verzichtet das "Ohr" Etheridge, der den Namen des Autors zuordnen kann, gegenüber dem Helfer Finchs, Dominic, auf entsprechende Bemerkungen, Seite 182, Bilder 5-7)
    ~~~~~
    Vermummung

    V ist trotz seiner Maske, die Autor und Zeichner in Bezug auf die Mimik völlig beschneiden, ein faszinierender* Charakter.

    Wer steckt hinter der Maske ?
    Kein Mensch sondern in gewisser Weise ein Jedermann (was sich gar nicht faszinierend anhört), mindestens Repräsentant, wenn nicht Verkörperung einer Idee, Inkarnation des Anarchismus (Seite 236, Bild 7).
    Sein Gesicht ist daher nicht relevant, würde nur ablenken, der Leser soll nicht sehen sondern spüren, dass er eine Idee, ein Ideal ist.
    So erklärt sich die wunderbare Szene in der Evey nach V’s Tod mit dem Gedanken kämpft, ihn zu demaskieren und sich dabei fragt, wie er wohl aussehen mag.
    Nachdem sie die Maske lupft sieht sie sich selbst (Seiten 249 und 250).
    Der Erkenntnis folgt der Wille, das Vermächtnis fortzusetzen, angedeutet durch das maskenlose Lächeln Eveys (Seite 251, letztes Bild): sie ging in V’s "Schule" und wird diese fortführen als Lehrerin von Dominic (Seite 263).

    Aber die Frage, wer unter der Maske steckt, wird nicht nur auf Ebene der Repräsentanz beantwortet sondern auch zur weiteren Mystifikation genutzt: V wird von Dr. Surridge einmal als hässlich (Seite 81, Bild 4), ein andermal als schön (Seite 75, Bild 8) bezeichnet, interessanterweise war er Dr. Surridge zufolge "hässlich" bevor er durch seine angedeuteten furchtbaren Verbrennungen entstellt wurde, "schön" danach.
    Dies lässt mehrere Deutungen zu:
    Hat Dr. Surridge gelernt einen Mensch anders zu sehen, ihn durch die "Maske seines Aussehens" zu erkennen ?
    Empfand sie V’s Anblick als schön, weil sie sein Erscheinen wie das eines erlösenden Engels annahm ?
    Der Leser ist in jedem Fall irritiert, dass es zu einem solchen Wechsel der Ansicht kommen konnte und versieht die Figur des V mit einem zusätzlichen Fragezeichen.

    V’s Guy Fawkes-Maske wirkt insbesondere in Szenen äußerster physischer Anstrengung sowie in der Vorbereitung oder Ausführung seiner Taten durch ihr eingefrorenes Dauerlächeln un-, ja sogar übermenschlich.
    Dialogszenen, insbesondere wenn diese emotional aufgeladen sind (was auf viele der Gespräche mit Evey zutrifft), bekommen durch die Maskierung eine befremdliche Note, was ebenfalls zur Mystifikation des Charakters beiträgt.

    Wie genial Moore (und/oder Lloyd) mit dem Einsatz der Maske umzugehen verstehen, fällt auf, wenn sie sich in diesem zurück nehmen.
    In der großartigen, schon ansatzweise erwähnten Szene in der V an Dr. Delia Surridge Rache nimmt (Seiten 70-75), wird dieser kaum gezeigt, seine Maske sehen wir nicht.
    Zu groß die Gefahr, dass sie mit ihrem lächelnden Zug die einfühlsame Stimmung zerstört hätte, sie würde zynisch wirken.
    Tatsächlich werden wir so Zeugen einer Hinrichtung die den Eindruck hinterlässt, ein Akt humaner Sterbehilfe zu sein (und von Dr. Surridge auch so empfunden wird).

    Die Maske hat also im Wesentlichen zwei Funktionen. Einerseits dient sie der Mystifikation des Charakters, andererseits ist sie durch die jederzeitige Reproduzierbarkeit ein Symbol für den Jedermann, der sich hinter ihr versteckt bzw. verstecken kann. Das Symbol wiederum ist einfacher als ein Gesicht als Zeichen einer Idee identifizierbar, die Maske wird mithin ähnlich bedeutungsgeladen wie das durch einen Kreis umringte A.

    Noch ein paar Worte zur Kleidung (ist die Maske Kleidung, Verkleidung oder beides ?):
    Steht V still, sind seine Extremitäten meist vollständig durch den weiten Umhang verdeckt, er ist nur Hut, Maske und Cape.
    Insbesondere in kritischen Situationen scheint er dadurch selbstsicher, unverrückbar mit der Erde verbunden, ja regelrecht verankert (keine nervösen Bewegungen, kein Herumgefuchtel) und somit unberechenbar (Leser und Gegner wissen nicht, was er aus seinem Cape hervorzaubern wird, welche Bewegungen vorbereitet werden).

    Seine Kleidung entspricht einem zum Klischee gewordenen Bild welches man sich gemeinhin vom Outfit eines Verschwörers macht und zu dessen Propagierung auch Comics ihren Anteil beitrugen.
    Man denke z.B. an die Gifticks (Les Krostons) von Paul Deliège, die sich nichts geringeres vorgenommen haben als die Welt zu erobern, den Attentäter aus Lucky Lukes "Der Großfürst" oder die Verschwörer gegen Schlumpfissimus, den König der Schlümpfe, die allerdings aufgrund ihrer scheinbar festgewachsenen Mützen auf den breitkrempigen Hut verzichten.
    Auch ein Rip-off von V sei genannt: die Serie Anarky (DC) von Alan Grant und Norm Breyfogle zeigt schon durch die Kleidung des Helden, wer der Figur als Modell dient.

    Betrachtet man zeitgenössische Illustrationen scheint dieser Look auf Guy Fawkes, den berühmt-berüchtigten Anführer der Pulververschwörung, zurückzuführen zu sein.

    Warum dieses Guy Fawkes-Image in V ? Dazu später mehr im Rahmen einer Analyse der Ideologie V’s.


    *= umso mehr, da der Begriff "Faszination" sich etymologisch aus dem der "Verblendung" ableitet
    Geändert von felix da cat (01.04.2006 um 14:59 Uhr) Grund: Automatisch eingefügter Doppelbeitrag

  3. #3
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    Zitat Zitat von felix da cat
    "Das ist kein Comic, das ist Literatur!"
    Ein Freund
    Was hast Du denn für Freunde, ey?

    Comics SIND Literatur! Ob gute oder schlechte, muß in jedem Einzelfall wiederum jeder für sich entscheiden! Solche Spaßvögel wie ich werden nur an nachkriegszeitlich-frankobelgisch-parodistischen Comics etwas finden, da alles andere für Spaßvögel nur Käse ist. Außer den Peanuts latürnich!

    Und nun weiter mit der eigentlichen V-erhandlung ...

  4. #4
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    Verrückt ?

    Welche Hinweise auf den Charakter von V lassen sich im Comic finden ?
    Auf den Einsatz von Denkblasen, die uns am ehesten Einblicke in sein Gehirn gewinnen ließen, wurde bewusst verzichtet.

    Am auffälligsten ist V’s offensichtliche Kulturbeflissenheit. Die Schattengalerie lässt auf einen eklektischen Geschmack schließen. V rezitiert problemlos Shakespeare (Macbeth auf Seite 12) und umgibt sich mit Bergen von Büchern: Auf Seite 9 stehen Morus’ Utopia, Beecher-Stowes Onkel Toms Hütte, Marx’ Kapital und Hitlers Mein Kampf friedlich vereint Buchrücken an Cover auf ein und dem selben Regal.
    Aber sein Herz scheint auch für die leichte Unterhaltung zu schlagen. Auf Seite 29 finden wir ein Poster von Langohr Mr. Spock (Bild 1).

    Er zeichnet sich durch extreme Selbstsicherheit aus. Das Zitieren während der Ausübung von Kampfhandlungen ist hierfür ein guter Beleg. Eine solche "Energieverschwendung" würde sich verbieten, hielte er seine Gegner für ebenbürtig.

    Aus berufenem Munde, nämlich von der Doktorin med. Surridge, erfahren wir auf Seite 81, Bild 2, dass er während seines Aufenthaltes in Larkhill als "quite insane"* diagnostiziert wird.
    Sicher nicht abwegig angesichts seiner Behandlung vor Ort, doch konnte er sich nach seiner Flucht erholen ?
    Fixierte er sich auf seine Rache um dem Wahnsinn nicht komplett anheim zu fallen ?
    Und als diese vollendet war, was sollte ihn am Leben halten ?

    Nachdem Finch V tödlich verwundet hat, stellt er fest, "He could have killed me." (Seite 240, Bild 4), eine Aussage, die für eine Todessehnsucht V’s spricht.
    Aber war die Rache V’s in dem Moment in dem er seine Verwundung erhielt bereits vollendet ? Vom gleichzeitigen Ableben des Führers Susan konnte er nicht wissen ...

    Sicher ist, dass V in starkem Kontrast zu seiner ständig lächelnden Maske wohl kaum Freude am Leben empfinden konnte. Dafür spricht eine Aussage wie "Happiness is the most insidious prison of all" (Seite 169, Bild 1) oder "I didn’t put you in a prison, Evey. I just showed you the bars." (Seite 170, Bild 2)
    Leben als Gefangenschaft, der Mensch ein Gefangener.

    Seine Vorliebe für Shakespeare verbindet V spielerisch mit dieser negativen Weltsicht. Sein Lied "Vicious Cabaret", vorgetragen zu Beginn des 2. Teils scheint der Erkenntnis des englischen Barden geschuldet: "Das Leben ist eine Bühne und wir sind alle Schauspieler". Nur meint V, dass das Leben eine Bühne ist auf der ein bösartiges Spiel gegeben wird (Seite 98ff).


    Verheißung und Verkündigung

    V ist Anarchist. Anarchisten lehnen Religionen ab (bekannte französischsprachige Losung: "Ni Dieu, ni maitre").
    Dennoch sind in V erstaunliche Parallelen zu bekannten religiösen (und mythologischen) Motiven erkennbar.

    V entstieg am Abend des 23.12.93 (einen Tag vor der Feier Christi Geburt) den Ruinen des von ihm zerstörten Konzentrationslagers Larkhill. Sein auf Seite 83, Bilder 7 bis 9 dargestellter Gang aus Richtung des flammenden Infernos erinnert an einen Phoenix, der aus der Asche steigt.
    In gewisser Weise durchlebt er an diesem 23.12. Geburt und Wiedergeburt zugleich.

    Seine Maria Magdalena ist Evey, die der Prostitution nachzugehen beabsichtigt. Wie Jesus zu Maria pflegt aber auch V zu Evey eine keusche Beziehung.
    V ist asexuell.

    V erscheint als Erlöser in der Not, geradezu als ein Messias, ein Stifter, der eine Lehre verkündet.
    Wie bei Christus ist auch sein Wort zu Lebzeiten nur bei einem Teil der Bevölkerung auf fruchtbaren Boden gefallen, aber für die Zeit nach seinem Tod gab er ein Heilsversprechen, eine Propheterie der Nächstenliebe: "The age of killers is no more. They have no place within our better world." (Seite 260, Bild 6) Ein Himmel auf Erden ? Ein Neues Jerusalem ?

    Schließlich wird es ebenso wie im Falle von Christus keinen Leichnam geben: V’s körperliche Überreste werden durch eine letzte von ihm initiierte Explosion in alle Himmelsrichtungen zerstreut (um die von ihm verkörperten Ideen symbolisch weiter zu tragen ?).
    Kurioserweise wird V mittels einer an eine Wikingerbestattung erinnernde U-Bahnfahrt auf die "letzte Reise", seine wörtlich zu nehmende "Himmelfahrt" geschickt.

    Nach V’s "Feuer(werk)bestattung" übernimmt "Jüngerin" Evey die Aufgabe, V’s Evangelium zu verkünden. Dabei erweckt sie durch ihre stille Nachfolgeschaft den Eindruck von Kontinuität, einer Unsterblichkeit V’s (der/jetzt auch: die wie bereits oben geschrieben, eine Idee ist). Dies wird mit einem bekannten Spruch Mark Twains bezeugt: "Reports of my death were (eigentlich heißt es: have been greatly) exaggerated."
    V als ewiges Symbol. Die Maske - das Kreuz.

    Das alles erinnert ein wenig an den 9/11-Comic von Ed Brubaker und Michael Lark: In einem Thekengespräch vertritt ein Gast gegenüber einem anderen die Ansicht, dass alle Terroristen religiös motiviert seien. Es folgt der Einwand, dass auch Anarchisten Attentate verübt haben. Die Antwort: "They were probably some kind of religious radicals, man, I’m telling you ..." (9/11 Band 2, Seite 108, Bild 4)
    Nachdem man über die scheinbar mangelnde Bildung des Mannes die Nase gerümpft hat, kommt man ins Überlegen, ob da nicht zumindest ein Körnchen Wahrheit gesagt wurde ...

    Hat V nicht auch eine "Religion"? Die Religion der Vernunft**. Und auch diese fordert ihre Opfer.



    *= Man möge mir das Zitieren aus dem US-Trade Paperback nachsehen, die deutsche Fassung von V for Vendetta liegt mir nicht vor.

    **= So brachte die in einem Blutbad endende Französische Revolution einen "Kult der Vernunft" hervor, Robespierre selbst rief den sog. "Kult des höchsten Wesens" aus.
    ~~~~~
    Original geschrieben von Kaschi:
    Was hast Du denn für Freunde, ey?
    Ich zitiere nur, Ihr dürft werten ...

    So, jetzt erstmal ein paar Stunden Pause, man muss sich ja nicht gleich am ersten Tag überheben ...
    Geändert von felix da cat (08.04.2006 um 09:27 Uhr) Grund: Automatisch eingefügter Doppelbeitrag

  5. #5
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    V ist ein ideologisch geschulter Anarchist.
    Auch wenn ein Anarchist den Begriff Ideologie ablehnt so ist die Zurückweisung jeglicher Ideologie selbst Ideologie.

    Auffällig ist, dass V nahezu auf jede (meist von Evey) gestellte Frage eine Antwort weiß.
    Probleme, die eine Umsetzung der anarchistischen Idee mit sich bringen, kommen in V for Vendetta nicht zur Sprache.
    Das legt die Vermutung nahe, dass Moore (und vielleicht auch Lloyd) zumindest mit der Idee des Anarchismus sympathisiert(en).
    Moore war in den 1980er Jahren als V for Vendetta entstand als frühes Mitglied der englischen Grünen ein politischer Exot. Inwiefern er dieser Partei noch verhaftet ist, entzieht sich meiner Kenntnis.
    Tatsächlich bekennt er sich in aktuellen Interviews zum (politischen) Anarchismus.
    Insofern erklärt sich die aus seinem Werk erkennbare Parteilichkeit für die von V vertretenen Ideen.

    V ist weniger Mensch als Prinzip, weniger Person denn Inkarnation.
    Er versteht sich nicht so sehr als Prophet, als ein Verkünder der Anarchie sondern vielmehr als deren Verkörperung.
    Spätestens seine Worte im Angesicht des Todes offenbaren dies: "Did you think to kill me ? There’s no flesh or blood within this cloak to kill. There’s only an idea. Ideas are bulletproof." (Seite 236, Bilder 7 und 8)
    In gewisser Weise widerspricht V damit seiner Behauptung auf Seite 41, Bild 2, Anarchie sei seine "mistress", also eine extrakorporale Identität. Dies lässt sich jedoch damit erklären, dass er die anarchistische "Lehre", zu der er sich nicht immer bekannte (siehe sein vorangegangener "Dialog" mit Justitia) völlig in sich "aufgesogen" hat und sich mittlerweile als eine Art exaktes Abziehbild, als die "geklonte" Idee wahrnimmt.

    Diese Eingenommenheit für die Idee lässt eine intime Beziehung zu einem anderen Menschen nicht zu. Eine solche würde ihn zu sehr vermenschlichen und es erschweren, V für die Verkörperung einer Idee zu halten.
    Insofern gleicht er dem von ihm bekämpften Führer Susan, der scheinbar nie einen Menschen geliebt hat. Nur dass Susan in seinem hinfälligen Geisteszustand gegenüber dem Mittel seiner Macht, dem großen Überwachungscomputer Fate, Gefühle oder das, was er dafür hält, zu entwickeln beginnt.

    Aber V ist nicht nur Verkörperung einer Idee sondern auch deren Vollstrecker. Er will das alte System wegbomben und bedient sich hierfür – um sich des Vokabulars der Anarchisten zu bedienen – der Propaganda der Tat. Aus dem zerstörten Alten soll das Neue kommen.
    Dies mag auch der Grund sein, warum er sich in seiner Verkleidung an Guy Fawkes anlehnt und V die von diesem Jahrhunderte zuvor geplante Tat (Sprengung des Parlamentsgebäudes) vollendet.

    Fawkes gilt als katholischer Fanatiker, der seinen Glaubensgenossen nicht nur Befreiung von protestantischer Unterdrückung bringen sondern auch zur Errichtung eines katholischen Herrschaftsapparates beitragen wollte. Wäre sein Plan erfolgreich gewesen, wäre die eine Form der Unterdrückung lediglich durch eine andere ersetzt worden.
    Fawkes kann daher für einen Anarchisten kaum als angemessenes Vorbild gelten.

    Angesichts der Stärke seiner Überzeugungen verwundert es nicht, dass V uns insbesondere auf den Seiten 107 bis 118 (Ansprache im Jordan Tower) sowie 195 bis 199 zwei ideologischen Lehrstunden aussetzt, deren Thesen direkt aus dem Munde Bakunins (der so etwas wie der "Marx der Anarchisten" ist) hervorgesprudelt sein könnten.
    Moore sei Dank predigt V in vertretbaren Dosen, denn im erste Fall vergleicht er die Geschichte der Menschheit mit einem schlecht funktionierenden Arbeitsverhältnis und im zweiten wird sein verbales Sperrfeuer durch einige die Handlung voran treibende Szenen unterbrochen.
    Tatsächlich ist die von V verwendete Metapher in Hinblick auf das von ihm gewünschte Ziel, welches auf eine Herrschaft der Vernunft hinausläuft, schlecht gewählt.
    V kritisiert die Menschheit für ihr rückgratloses Verhalten, dafür, dass es sich die falschen (oder überhaupt) Führer wählt oder sich zumindest genügend Menschen zusammen finden, diese zu stützen. Er gibt ihnen zwei Jahre (warum zwei Jahre ?), sich zu ändern, um sich so zu verhalten, wie es seiner Auffassung von Vernunft entspricht. Aber genau da liegt die Crux:

    1.ist Vernunft nicht absolut, d.h. was für den einen vernünftig ist, muss es für den anderen noch lange nicht sein,
    2.fragt man sich, was V den Optimismus gibt angesichts der unmittelbar zuvor aufgezählten nahezu ununterbrochenen Kette menschlicher Fehlleistungen.

    Staaten sind zuvor ins Chaos gestürzt. Viele afrikanische Länder sind nach dem sie von ihren Kolonialherren in die Unabhängigkeit entlassen wurden bzw. nachdem sie sich diese erkämpft haben, in ein dem England Moores am Ende von V for Vendetta vergleichbares Machtvakuum gestürzt.
    Nur haben Vakua die fatale Eigenschaft sich schnellstmöglich zu füllen. Eine Form der Macht wird also lediglich die andere Form ersetzen.
    Vielleicht eine gerechtere Macht, wahrscheinlich nicht, aber in jedem Fall Macht, und dies kann nicht im Sinne V’s sein.

    Die ganze Problematik anarchistischer "Lehre" kommt in dem von V zitierten Satz Aleister Crowleys (dem wir schon am W.E.S.T.-Stammtisch begegneten) zum Vorschein: "Do what you wilt, Eve. That shall be the whole of the law." (Seite 217, Bild 5)
    Problematisch, weil die Freiheit des Einen fast immer die Freiheit des Anderen beschneidet. Selbst wenn Crowley den Zusatz "Love is the law. Love under will" beifügte, verbleibt das Problem, das Liebe kein Maß für Gerechtigkeit ist. Z.B. ist es sehr gut möglich aus Liebe (und damit ist ausdrücklich auch Nächstenliebe gemeint) das falsche zu tun, andere zu schädigen.
    Ist beispielsweise V’s Handeln richtig, wenn er Evey zumindest psychisch foltert (ihre skeletthafte Figur lässt darauf schließen, dass die Pein auch physische Folgen hatte).
    Sicher, V hat Evey geholfen, sich selbst zu erkennen, aber mit welchen Mitteln ? Tat er es aus Nächstenliebe ? Und wenn: War diese Tat aufgrund der dahinter stehenden Motivation (moralisch) richtig ?
    Heiligt der Zweck der Selbsterkenntnis das Mittel der Folter ?
    Oder hat V hier nicht vielmehr die Methoden seiner Gegner angewandt, sich diesen angeglichen ?
    Wollen diese Gegner nicht auch nur das "Beste" für uns ? Ordnung in einer chaotischen Welt, auch wenn es eine kurzsichtige Ordnung ist.

    V übt gegenüber Evey absolute Macht aus. Diese ist ihm völlig ausgeliefert. In seinem relativ unbeachteten, doch außergewöhnlichem Frühwerk Miracleman wies Moore darauf hin, dass bereits der Besitz von Macht zu dessen Missbrauch verführt.
    In der genannten Serie findet sich das Nietzsche-Zitat "Wenn Du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein." Dies scheint mit V geschehen. Er wurde zu lange in Larkhill gequält, er hat zu intensiv gehasst, dass ihm zur Erreichung seines Ziels beinahe jedes Mittel Recht geworden zu sein scheint.

    Angesichts einer solchen psychischen Struktur erscheint mir ein weiteres Zitat angebracht (aus Senecas Naturalium Quaestionum): "Es gibt Unzählige, die Völker und Städte beherrschen, doch nur sehr wenige haben sich selber beherrscht."

    Moore greift zurück auf einen uralten Trick, um die Akzeptanz sowohl der von V vertretenen Ideologie als auch der aus ihr geborenen Taten beim Leser zu erhöhen:
    Zum einen stellt er uns einen ungeheuerlichen Feind dar, der bereit ist unter die Gürtellinie zu schlagen. Jedwedes funktionierende Gerechtigkeitsbewusstsein rebelliert angesichts der Unmenschlichkeit, Menschen in einem Konzentrationslager dahin zu schlachten, an ihnen zu experimentieren.
    Auch werden die personifizierten Gegner V’s keineswegs so dargestellt, dass man Gefahr läuft, diese sympathisch zu finden: Sowohl KZ-Bedienstete (Prothero) als auch einen sadistischen Ehemann (Almond), einen pädophilen Bischof (Lilliman) und einen durch und durch korrupten Opportunisten (Creech) bekommen wir geboten. Der asexuelle Leader Susan schließlich ist dem Wahnsinn wesentlich näher als geistiger Gesundheit.
    Der Leser wird geradezu genötigt, sich auf V’s Seite zu schlagen.
    Umso mehr, da es keine Alternative zu V zu geben scheint.
    Moore weiß, dass er sich keine Widerstandsgruppe neben V erlauben darf, die diesen Sympathie kosten könnte, etwa eine demokratische Opposition.
    So suggeriert er, V biete die einzige Möglichkeit, sich der faschistischen Regierung zu entledigen, ein weiterer Grund, sich mit V zu identifizieren.
    Schließlich scheinen seine Taten durch geschicktes Understatement von Moores Seite nicht so grausam wie sie eigentlich sind. Dass bei der Sprengung eines (großen) Gebäudes üblicherweise sehr viele Menschen ihr Leben lassen müssen, wird nicht nur nicht gezeigt, es wird auch nicht in den in V for Vendetta allgegenwärtigen Nachrichten erwähnt, denn nicht nur die faschistische Regierung will die "Erfolge" V’s kaschieren, Moore verschweigt uns auch den hohen Blutzoll, den die Taten seines Anarchisten fordern.

    Die eindeutigste Gegenüberstellung der beiden in V for Vendetta kontrastierenden politischen Gedankensysteme findet auf den Seiten 37 bis 42 statt: Zum einen ist da der Führer Susan, der an den Faschismus glaubt, an Stärke und Einheit und meint, diese sei nur durch Konformität der Gedanken erreichbar, zum anderen V, der sich von Justitia (Verkörperung der Gerechtigkeit) betrogen fühlt, da diese sich an das faschistische System verkauft habe. In dieser Szene bekennt er sich zum ersten mal im Rahmen der Geschichte zum Anarchismus, denn "Justice is meaningless without freedom." (Seite 41, Bild 3) Bezeichnenderweise kehrt er den Satz nicht um, denn es gilt auch: Freedom is meaningless without justice. Diese Erkenntnis würde jedoch sein ideologisches System untergraben, denn Gerechtigkeit kann nur durch eine die einzelnen Interessen ausgleichende unparteiische Ordnungsmacht hergestellt werden.

    Zu einem zweiten erzähltechnischen Zusammentreffen der beiden Vorgenannten kommt es auf den Seiten 235 bis 237, die die letzten Momente beider Charaktere schildern.

    Zu einer direkten Begegnung zwischen V und Susan kommt es nicht, da diese nur in einem Anti-Klimax enden könnte. Beide stehen für Prinzipien, der Clash dieser Prinzipien darf nicht in einem physischen Kampf entschieden werden. Dies würde die Geschichte banalisieren.

    Evey-lution

    Der Comic endet mit einer hoffnungsvollen Botschaft: Evey übernimmt die Rolle des V, sie rekrutiert Dominic. Wir dürfen annehmen, dass die nunmehr ideologisch Geschulte diesen ebenso überzeugt, wie sie von V überzeugt wurde. Die Fackel wird weiter getragen.

    Doch nach V darf es keine Kontinuität im Sinne einer Fortführung der Attentate geben. V zumindest hoffte, sich durch seine Taten überflüssig gemacht zu haben: "The age of killers is no more. They have no place within our better world." (Seite 260, Bild 6) Dies gilt auch für V. Er ist nun auch ein Relikt einer schlechteren, überholten Welt, einer Welt, die die neue nicht mehr beflecken soll. Er hat sich überflüssig gemacht.
    Hier erinnert Moore an Albert Camus’ Die Gerechten.

    Dennoch: Das Ende musste an dieser Stelle kommen.

    Ähnlich wie bei einer gut ausgehenden Liebesgeschichte gibt es auch in V for Vendetta nur einen Moment des Ausstiegs.
    Lesen wir eine love story mit happy end wollen wir das "Danach" verdrängen: Die Streitereien, womöglich die Trennung, der Personen, die doch so augenfällig zusammen gehörten. Die Seifenblase würde zerplatzen. Das Paar hat hart an der Beziehung gekämpft und soll nun – verdammt noch mal – glücklich bis ans Ende seiner Tage bleiben.

    Aber das wird kaum geschehen.

    Und in der Welt von V wird die Hölle ausbrechen. Keine Ordnung bedeutet Recht des Stärkeren. Recht des Stärkeren bedeutet Rückfall in Anwendung (niederer) menschlicher Instinkte. Rückfall in Anwendung (niederer) menschlicher Instinkte bedeutet Abwesenheit von Vernunft.

    Wenn überhaupt, kann Anarchie, die diese Bezeichnung verdient, niemals revolutionär sondern nur evolutionär erreicht werden.
    Zum Wesen einer (geglückten) Revolution gehören Unterlegene.
    Da diese in einer Revolution nicht überzeugt sondern niedergekämpft werden, sind sie vom Bestreben erfüllt, die verloren gegangene Macht wieder zu erlangen (in V angedeutet durch die durchtriebene Mrs. Heyer, Seite 264 und 265).
    Ist man nicht bereit Druck auszuüben, weil man die damit verbundene Machtausübung ablehnt, folgt der Revolution die Restauration auf dem Fuße.

    V könnte der Nachwelt ein größeres Problem bereitet haben als das, welches er vorfand.
    Aber warum sollen seine Taten auch Anderes bewirken als die Tat, die der Katholik Guy Fawkes plante ? Dessen religiös motivierte Pulververschwörung endete schließlich auch im doppelten Sinn in einem Desaster. Der versuchte Anschlag brachte ihn an den Galgen und warf die Gleichberechtigung der damals in England unterdrückten Katholiken um über zwei Jahrhunderte zurück.

    Für alle, die V dennoch als romantischen Outlaw sehen möchten: Dostojewski hat mit Die Dämonen ein Werk geschrieben, dass den durch V for Vendetta verklärten Blick auf den anarchistischen Attentäter sehr schnell ernüchtern lässt. Der Roman ist eine Sezierung politischer Wahnvorstellungen.
    Geändert von felix da cat (01.04.2006 um 20:43 Uhr)

  6. #6
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    Victims

    Es existieren eigentlich mehrere Opferrollen in Alan Moores Werk, doch in Wahrheit erreichen nur zwei Personen einen Status, inden sich der Leser hieneinversetzen und mit Ihm/Ihr identifizieren kann.
    Dies ist auf der einen Seite Evey Hammond und auf der anderen Seite Eric Finch.
    Natürlich wäre auch die Bevölkerung Englands in Ihrer Gesamtheit eine Art Kollektivopfer - aber erstens könnte man sich als einzelner nicht mit Ihrer Rolle in Einklang bringen, wäre man doch auch nur Mitläufer und zweitens empfindet man auch kein richtiges Mitleid, haben sie sich doch wie in unserer eigenen Vergangenheit als Volk verraten und verkauft.

    V als Person fällt ebenfalls der Status "Opfer" weg, obwohl er doch wirklich derjenige mit wahrlich schwerstem Schicksal wäre. Doch durch seine Metamorphose zum Rächer entledigt er sich seiner alten Rolle und ist nun selbst derjenige der Macht ausübt und die Spielregeln vorgibt.

    Betrachtet man die beiden o.g. Hauptcharaktere Evey und Finch, sind sie die wirklich realen Bezugspersonen in der Handlung.
    Evey Hammond, ein verschüchtertes, einsames junges Mädchen, daß Ihre Not zur Prostitution treibt. Vater und Mutter verlor sie schon bei Machtergreifung durch die Säuberungstruppen des neuen Regimes.
    Aufgewachsen als " Waise " konnte sie sich mehr schlecht als recht durchs Leben schlagen. Sie wuchs auf in einer wertefreien Welt in der völlige Harmonie und Ordnung suggeriert werden, ohne je einen Vergleich gekannt zu haben. Allerdings gebe ich hier zu bedenken, daß es etwas unrealistisch erscheint, daß gerade ein so junges Mädchen in einer so streng überwachten Diktatur, auf den Gedanken kommt sich durch Prostitution Ihren Lebensunterhalt aufzubessern, bzw. überhaupt sich zu diesem Schritt genötigt fühlt. Gehen wir mal in Anlehnung an die vergleichbare Situation im 3. Reich aus, wäre sicherlich gerade für die Jugend jedmögliche Fürsorge gewährleistet worden. Natürlich unter der Voraussetzung der ideologischen Gleichgesinnung. Und hier setzt wohl auch Moores Intention ein.
    Die Tatsache, daß Evey überhaupt in dieser präkeren Situation steckt, müsste voraussetzen, daß sie sich mehr oder weniger in ihre eigene Art Parallelwelt flüchtete. Grund hierfür ist natürlich die Verschleppung Ihrer Eltern, für deren regimefeindliche Gesinnung. Sie wurde als Kind in eine Fabrik zum Arbeiten geschickt - das erinnert wieder sehr stark an die deutsche Vergangenheit, in der man sich auch nichtrassentypischer Menschen und Regimegegner weitgehendst entledigte und zumindest die Kinder der letzgenannten Gruppe mehr oder weniger als Zwangsarbeiter, statt eines würdigen Menschenleben betrachtet wurden.
    Genau auf solch einen Charakter wird V wohl die ganzen Jahre seiner langen und Generalstabsmäßigen Vorbereitungsphase gewartet haben.
    Erstaunlich ist es dennoch, das trotz der schweren Kindheit sich Evey Ihre moralischen Werte behalten konnte. Das beste Beispiel ist Ihre Ablehnung nach der ersten gemeinsamen Tat mit V - die Ermordung des Bischofs von Westminster. Solange nur Gebäude oder Institutionen gebombt wurden, plagten sie noch keinerlei Zweifel - viel zu sehr war sie von der neuen Welt und dem mutigen Vorgehens V geblendet. Aber nun war sie indirekt an der Ermordung eines anderen Menschen beteiligt - und hier unterscheiden sich V und Evey doch gewaltig. War durch seine Vorgeschichte (@felix ist ja schon eingehend auf diese eingegangen), V schon jenseits jeglichem moralischen Empfinden, wurde Evey nun erstmals richtig bewusst, auf welch´gefährliches Spiel sie sich hier eingelassen hat und es ist nachzuvollziehen, wie jetzt Ihr ganzes Ego sich mit der Auseinandersetzung + Aufarbeitung dieses Gewissen-Konfliktes beschäftigte.
    Auch V muß dies erkannt haben, hielt er es doch für notwendig Ihr dem ebenfalls von @felix schon beschriebenen, grausamen physischen und psysischem Martyrium auszusetzen, was ja auch von Erfolg gekrönt werden sollte.
    Erst in letzter Sequenz nach dem Tode V´s schlüpft Evey aus der Ihr angestammten Opferrolle und geht ebenfalls eine Metamorphose ein, die aber sicherlich einen weniger aggressiven und rachegetriebenen Charakter entsprechen dürfte.

    Eine ganz andere Rolle des Opfers begleitet Detective Eric Finch.
    Dieser hatte sich ursprünglich mehr oder weniger dem Regime verkauft, da er es als legitime Regierung und zum Erhalt der Ordnung akzeptierte. Sein Leben schien in Ordnung - er ging seinem Beruf nach und hatte sogar eine Romanze mit der Pathologin Delia Surridge. Sein Leben lief sozusagen in geordneten Bahnen, bis er immer tiefer in die Verfolgung V´s verstrickt wurde.
    Anfänglich glaubte er ohne Zögern von einem einzig terroristischen Motiv, ein Gedanke der Ihn ja auch bis zu seinem persönlichen Duell mit V begleitete. Viel zusehr war sein Leben schon von der ideologischen Vorgabe des Regimes geprägt, als das jeglicher Akt gegen dieses, anders als ein gewöhnlicher Terroranschlag von Ihm hätte gewertet werden können.
    Dennoch muß auch in Ihm unterschwellig noch mehr als ein Fünkchen Moral und Wertevorstellung existiert haben, denn er ging von Beginn an doch einen sehr stark differenzierten Ermittlungsweg in Bezug auf die anderen Staatsorgane, Auge, Mund + Finger. Genauso stellt man sich doch den "normalen" Polizeibeamten vor, der auch schon die Welt vor Inkratfttreten des diktatorischen Regimes kannte und seinen Beruf ausübte. Dieser wird froh gewesen sein, als das Chaos kurz nach dem Krieg wieder verschwand und er in seiner täglichen Arbeit einen gewissen Teil zur Beruhigung der Lage beitrug. Für Ihn hat sich am wenigsten durch das neue Regime geändert - eventuell ein Hauptgrund warum er sich auch nicht weiter mit der Ideologie der Regierung auseinandersetzte.
    Nun geriet sein Leben durch die für Ihn nicht gekannte Vorgehensweise V´s immer mehr aus den Fugen und durch das für Ihn wohl eindrucksvollste und gleichzeitig schockierende Erlebnis, des Todes seiner Geliebten Delia und dem gleichzeitigen Erhalt Ihres Tagesbuches, wurde dieser Eindruck enorm verstärkt. Hier begannen seine ersten Zweifel, die er ja auch in dem Gespräch mit dem Führer zum Ausdruck brachte. Sollte ein einfacher Terrorist wirklich soweit gehen, daß er ein gefälschtes Tagebuch initierte, nur um einen einfachen Beamten von der Lüge des Regimes zu überzeugen.
    Kaum zu glauben - und so ging er zu seinem für ihn einzig logischen Schritt über - er musste die Wahrheit über das Larkhill Resettlement Camp herausbekommen. Unter Drogeneinfluss fühlte er nun an eigenem Leibe das Schicksal V´s nach. Und dennoch war er selbst zu diesem Zeitpunkt noch so pflichtbewusst, diesen für seine verbrecherischen Vergehen zur Strecke zu bringen. Doch an dieser Stelle wird schon die Opferrolle Finchs deutlich - für den jetzt sein ganzes Weltbild oder besser seine gelebte Ordnung zusammenbricht.
    So denke ich, war der erhoffte Tod V´s durch Finchs tödliche Schüsse mehr ein Sieg über seine eigenen Dämonen, als die Lösung seiner kriminalistischen Ermittlungen.
    Spätestens hier muss er sich seiner eigenen Existenzfrage stellen - was ihn in einen völlig lethargischen Zustand verfallen und ihn in das weitere Geschehen nicht mehr eingreifen lässt.
    Nun steht er an seinem persönlichen Scheideweg und seine Zukunft ist genau wie die des Landes völlig ungewiss.

  7. #7
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    Original geschrieben von hipgnosis:
    Allerdings gebe ich hier zu bedenken, daß es etwas unrealistisch erscheint, daß gerade ein so junges Mädchen in einer so streng überwachten Diktatur, auf den Gedanken kommt sich durch Prostitution Ihren Lebensunterhalt aufzubessern, bzw. überhaupt sich zu diesem Schritt genötigt fühlt. Gehen wir mal in Anlehnung an die vergleichbare Situation im 3. Reich aus, wäre sicherlich gerade für die Jugend jedmögliche Fürsorge gewährleistet worden. Natürlich unter der Voraussetzung der ideologischen Gleichgesinnung.
    Ich fürchte, da irrst Du.
    Nicht jede faschistische Diktatur ist in Hinblick auf das Maß der von ihr ausgeübten Unterdrückung oder den Umfang ihrer Sorge um das Wohlergehen und die "Gleichschaltung" seiner Waisen gleich bemüht.
    Z.B. gab es Straßenkinder unter südamerikanischen Diktaturen.
    Prostitution ist sogar in einem Land mit strengstem sexuellen Verhaltenscode wie dem Iran* ein so großes Problem, dass man versucht, diese mit kuriosesten Mitteln mit der Staatsdoktrin kompatibel zu machen (der Freier "heiratet" die Prostituierte symbolisch vor dem Akt).
    Ich denke, man muss Moore daher Freiheiten bei der Gestaltung "seiner" faschistischen Diktatur zugestehen.

    *= für mich ist die dortige Theokratie durchaus mit dem Faschismus vergleichbar. Ich erwähne das Beispiel nur, weil Prostitution dort so "unwahrscheinlich" anmutet.
    Tatsächlich kann aber als sicher gelten, dass kein faschistisches Regime es jemals geschafft hat, Prostitution zu unterbinden. Warum sollte dies also im Mooreschen England gelingen ?

    Solange nur Gebäude oder Institutionen gebombt wurden, plagten sie noch keinerlei Zweifel - viel zu sehr war sie von der neuen Welt und dem mutigen Vorgehens V geblendet.
    Beinahe witzig ist Eveys Kommentar zu dem ersten Bombenanschlag V's:
    "But that ... That's against the law." (Seite 14, Bild 5)
    Evey ist von dem Ereignis so konsterniert, dass ihr kein annährend angemessener Kommentar einfällt.
    Eine ganz andere Rolle des Opfers begleitet Detective Eric Finch.
    Dieser hatte sich ursprünglich mehr oder weniger dem Regime verkauft, ...
    Der Begriff "verkauft" hat mich schon im Intro ein bisschen gestört.
    Ich würde "arrangiert" bevorzugen.
    "Verkauft" impliziert, dass er sich angepasst und liebdienerisch verhalten würde, um einen Vorteil zu erlangen.
    Eine solche Verhaltensweise vermag ich bei Finch nicht zu erkennen.
    Wie fast jeder andere Engländer verdrängt er die Schattenseiten der neuen Ordnung, redet sich ein, anders ginge es nicht.
    Tatsächlich sehe ich in ihm das Spiegelbild des Engländers unter dem Susanschen Regime (siehe unten).
    Unter Drogeneinfluss fühlte er nun an eigenem Leibe das Schicksal V´s nach. Und dennoch war er selbst zu diesem Zeitpunkt noch so pflichtbewusst, diesen für seine verbrecherischen Vergehen zur Strecke zu bringen. Doch an dieser Stelle wird schon die Opferrolle Finchs deutlich - für den jetzt sein ganzes Weltbild oder besser seine gelebte Ordnung zusammenbricht.
    So denke ich, war der erhoffte Tod V´s durch Finchs tödliche Schüsse mehr ein Sieg über seine eigenen Dämonen, als die Lösung seiner kriminalistischen Ermittlungen.
    Spätestens hier muss er sich seiner eigenen Existenzfrage stellen - was ihn in einen völlig lethargischen Zustand verfallen und ihn in das weitere Geschehen nicht mehr eingreifen lässt.
    Nun steht er an seinem persönlichen Scheideweg und seine Zukunft ist genau wie die des Landes völlig ungewiss.
    Jepp, gut beobachtet.
    Finch ist eine Art Spiegelbild des typischen Engländers.
    Erst angepasst, am Ende verwirrt, völlig ungewiss seiner Zukunft entgegensehend.
    Seine Metamorphose vollzieht sich gleichzeitig zu der seines Landes.
    Insofern haben wir ein Dreiergestirn:
    V verkörpert den Anarchismus,
    Susan den Faschismus,
    Finch den typischen Engländer.
    Geändert von felix da cat (02.04.2006 um 19:49 Uhr)

  8. #8
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    Ans Vaterland verkauft

    Das verkauft - war auch mehr im Sinne arrangiert und toleriert gemeint - aber das ging ja aus meiner Gesamtbetrachtung Finchs recht deutlich hervor.

    Das Thema Prostitution wird wohl zu jeder Zeit gerne genommen um eine Verzweiflung des weiblichen Geschlechts auszudrücken. Insofern bildet hier Moores Eingabe nicht die Ausnahme sondern eher das Typische.
    Aber es sei ihm natürlich gestattet - keine Frage.

    Dennoch kann man m.E. die Gestaltung Moore´scher Diktatur wirklich am besten am Beispiel des Nazi-Regimes vergleichen, jegliche andere Militärjunta oder ähnliches drängt sich dem Leser nicht so eindrücklich auf.
    Daher auch mein kleiner Einwand, wobei die Betonung auf etwas unrealistisch liegt, denn ich spreche die Möglichkeit natürlich nicht ganz ab, kann mich aber nirgendwo erinnern gelesen zu haben, daß Jugendprostitution im 3. Reich ein Thema gewesen sei.

    Aber das tut auch alles nichts zur Grundthematik - es soll halt die Verzweiflung Eveys verdeutlicht werden und das ist im Prinzip ja auch gelungen.

    Finch ist für mich nicht nur der typische Engländer, sondern ich sehe vielmehr in Ihm den typisch pflichtbewussten Polizisten (Beamten).
    Ich weiß nicht ob es typisch englische Eigenschaften sind, die Alan Moore ihm hier angedenkt.
    Das Pflichtbewußtsein könnte auch jederzeit einem deutschen Polizisten der Zeit vom I. WK über die der Weimarer Republik bishin zum II. WK gut zu Gesicht stehen - aber in einem würde sich dieser dann doch unterscheiden.

    Dieser bestimmte Typus deutscher Polizist ( und nur diesen speziellen Typus meine ich - das soll kein Generalverdacht hier werden!!) würde wahrscheinlich nie mit sich selbst hadern und die Richtigkeit seines Handelns in Frage stellen, sondern warten bis das nächste Regime an die Macht gelangt um dann wieder seine Pflicht dem Vaterlande gegenüber vollbringen. Nicht umsonst haben bis heute einige der alten Polizisten oder Soldaten hierzulande Ihre Mitschuld an der Katastrophe nicht eingesehen und es kommt zu diesen uneinsichtigen Aussagen wie:
    " Man hätte sowieso nichts daran ändern können " oder " Befehl ist eben Befehl " und " so war das eben zu dieser Zeit "


    Wenn ich an dieser Stelle mal die Verfilmung V wie Vendetta´s ins Spiel bringen darf.
    Eine der Schwachstellen des Filmes im Gegensatz zum Comic war z.b. die schablonenhafte Darstellung von Passivität des Volkes, selbst nachdem V schon den Weg der Anarchie geebnet hatte. Anstatt sich wie zum Ende des Comics mit eigener Kraft des Regimes zu erwähren und im wahrsten Sinne des Wortes selbstdenkend und eigenmächtig aus den Ruinen zu erheben und in der Person V (mittlerweile von Evey dargestellt) lediglich noch eine Gallionsfigur in Form Johanna von Orleans zu sehen, wird im Film die Szenerie sehr verharmlost.
    Nicht nur das V selbst noch derjenige ist der zur Anarchie aufruft, nein vielmehr in der Tatsache, daß das Volk eigentlich keinen eigenen Willen zeigt, sondern sich selbst hinter den Guy-Fawkes-Masken und den Kostümen verbirgt, sich gewaltlos den Truppen des Regimes entgegenstellt in der Hoffnung Ihr leuchtendes Vorbild - V - wird schon dafür sorgen, daß sich jetzt alles ändert.
    Im Prinzip würden diese Menschen jedem anderen hinterherlaufen, sei es selbst ein neues diktatorisches Regime.

    Ich glaube das wollte Alan Moore in seinem Werk gerade nicht ausdrücken - wurde leider im Film dem kommerzielleren, sprich massentauglicheren Gedanken geopfert. Leider verwischt das etwas den Gesamtkontext des Comics.
    Geändert von hipgnosis (02.04.2006 um 21:21 Uhr)

  9. #9
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    Original geschrieben von hipgnosis:
    Ich weiß nicht ob es typisch englische Eigenschaften sind, die Alan Moore ihm hier angedenkt.
    "Typisch" meinte ich auch nur im Kontext der story.
    Ich glaube das wollte Alan Moore in seinem Werk gerade nicht ausdrücken - wurde leider im Film dem kommerzielleren, sprich massentauglicheren Gedanken geopfert. Leider verwischt das etwas den Gesamtkontext des Comics.
    Nicht nur das wollte er nicht - heute abend folgt mein Verriss.

  10. #10
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    Zitat Zitat von felix da cat Beitrag anzeigen
    Nicht nur das wollte er nicht - heute abend folgt mein Verriss.
    Bitte bleibe aber dabei etwas objektiver als viele der Rezessenten, deren Kritik ich an anderer Stelle schon lesen konnte.
    Ein Veriss um des Verisses wegen, macht keinen sonderlichen Spaß beim Lesen - aber das passiert Dir sicherlich nicht

    Es bringt nichts wenn man wie manche dieser Kritiker auf den Film einprügelt - nur weil Alan Moore ihm seine Unterstützung entzog.
    David Lloyd hat m.W. den Film zumindest in der Form akzeptiert (ich meine es irgendwo gelesen zu haben!) - somit hat er zumindest seine Legitimation verdient.

  11. #11
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    Objektiv begründen tu ich doch immer.
    Dennoch: Tut mir Leid - Für die, die den Film mögen, wird's hart.

    Aber das wundervolle am Forum ist ja: Man kann auch die Kritiker kritisieren.
    Geändert von felix da cat (03.04.2006 um 11:03 Uhr)

  12. #12
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    Zitat Zitat von hipgnosis Beitrag anzeigen
    David Lloyd hat m.W. den Film zumindest in der Form akzeptiert (ich meine es irgendwo gelesen zu haben!) - somit hat er zumindest seine Legitimation verdient.
    kunststück: der film hat, wenn schon (leider) nicht in der optik, aber doch in der konstruktion einzelner bilder/szenen deutliche anleihen beim original genommen - das sich der schöpfer ebendieser bilder da gebauchpinselt fühlt, ist eigentlich nicht verwunderlich, oder?

  13. #13
    Verstorben Avatar von hipgnosis
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    Zitat Zitat von Studnix Beitrag anzeigen
    kunststück: der film hat, wenn schon (leider) nicht in der optik, aber doch in der konstruktion einzelner bilder/szenen deutliche anleihen beim original genommen - das sich der schöpfer ebendieser bilder da gebauchpinselt fühlt, ist eigentlich nicht verwunderlich, oder?
    Da ist sicherlich etwas wahres dran - aber man kann ja wohl auch nicht behaupten, daß der Film jeglicher Grundlage des Comics entbehrt und trotzdem fühlte sich Alan Moore wohl allzusehr missverstanden und war sehr verstimmt.
    Ich finde es schade, daß beide Künstler nicht viel mehr in die Filmadaption integriert wurden, sodaß diese Misstöne überhaupt nicht hätten enstehen können.

    Denn bei aller vielleicht folgender Filmkritik - habe ich mich sehr über dessen Veröffentlichung gefreut und wurde auch insgesamt gut unterhalten.

    Die Details werden wir sicher noch näher beleuchten, darum möchte ich nicht allzuweit vorgreifen.

  14. #14
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    Verstümmelung

    Da der V wie Vendetta-Stammtisch so terminiert wurde, dass er mit dem Start der Comic-Verfilmung koinzidierte, liegt es nahe, einen Vergleich zwischen beiden Versionen der Geschichte durchzuführen.
    Beginnen will ich mit dem Abspann. Dort heißt es "Based on the graphic novel by David Lloyd".
    Der ein oder andere mag sich verwundert die Augen gerieben haben, dass der Name des Autors Alan Moore keine Erwähnung findet.
    Doch ist dies kein Versehen. Moore lehnt jede Verfilmung seiner Comics ab, die deren Inhalt nicht 1 = 1 auf die Leinwand transponiert.
    Daher beteiligte sich Moore auch nicht an der Promotion des Films. In dem Appetizer "Making of ..." ist er nur auf Fotos zu sehen. David Lloyd hingegen zeigt sich in diesem zumindest von einigen Effekten des Films begeistert.

    Nachdem ich den Film gesehen habe, kann ich Moores kritische Haltung nachvollziehen.

    Bleiben wir doch gleich beim Schluss des Films, um einen der Gründe zu benennen, warum der Film scheitert:
    Er endet mit der Sprengung des englischen Parlamentsgebäudes.
    Dieses Ereignis steht in der Comic-Version am Anfang. Regisseur James McTeige hat die Szene als Höhepunkt seines Films an den Schluss gesetzt, weil er sich hiervon offenbar den größten (optischen) Effekt versprach. Geradezu genussvoll wird das altehrwürdige Gebäude hingerichtet.
    Wir sind Zeuge wie beinahe jede Fensterscheibe ihr zu Splittern minimiertes Glas durch den Druck der Explosion auf den Vorplatz rotzt. Dieses Bestreben nach Maximierung bildlicher Wirkung durchzieht den gesamten Film und untergräbt damit am augenscheinlichsten den Geist der um solche Effekte viel weniger bemühten Comic-Handlung.
    Die Sprengung des Gebäudes steht im Gegensatz zum Film nicht nur am Anfang des Comic, dort erfolgt sie auch denkbar unspektakulär: keine Panels in Übergröße, die uns eine Art beschwipstes Silvesterfeuerwerk zu klassischer Begleitmusik präsentieren (und uns suggerieren, dass hier etwas großartiges passiert) sondern eine denkbar nüchterne Inszenierung fast ohne überflüssiges Pathos. Lediglich das "V"-förmige Feuerwerk am nächtlichen londoner Himmel darf als Verbeugung vor Zorro (der Buchstabe als Erkennungszeichen) und Batman (Batsignal) gedeutet werden, ist aber in einem Panel von wenig spektakulärer Größe nahezu versteckt.

    Effekthascherei kennzeichnet auch die Charakterisierung V’s:
    Sicher, auch der Comic-V ist in der Kampfkunst bewandert und mit Messern bewaffnet, doch schlägt er seine Wunden im Off.
    Der Film stilisiert ihn zu einem wahren Meister unter den Ninja-Kämpfern und zelebriert seine Angriffe als ein bluttriefendes Ballett.
    Besonders arg wird es beim Showdown mit Creech und dessen Mordgesellen: V fordert diese auf, ihn nieder zu schießen. Er überlebt ein wahres Kugel-Stakkato, offenbar nur vom Druck der abgefeuerten Projektile geschwächt.
    Dann geht er zum Gegenangriff über.
    Dieser wird in unglaublicher Agilität durchgeführt.
    In Anbetracht der Tatsache, dass wir im Nachhinein erfahren, dass V die Kugeln mittels des Brustpanzers einer Ritterrüstung überlebte, fragt man sich wie er sich mit einem solch sperrigen Teil so behände bewegen konnte. Aber Fragen stellen sollte man sich bezüglich dieses Films besser nicht ...

    Insbesondere auch nicht die, wie es dem Film-V ganz allein gelang, die U-Bahn-Schienen abseits der von ihm entdeckten stillgelegten Strecke so umzulegen, dass sie unter das Parlamentsgebäude führten.
    Ja, ja, es bedurfte jahrelanger Arbeit (so V in einem Nebensatz ... und das sollen wir schlucken ???) ... womöglich hat er für den Neuverlauf der Strecke auch die Tunnel allein ausgehoben.

    Das Ende des Films: Das vorher apathisch in Wohnzimmersesseln und an Pubtheken formierte Fernsehpublikum organisiert sich zur Massenbewegung in Einheitstracht inklusive Fawkes-Maske.
    Abgesehen davon, dass V als Einzelgänger entweder eine zauberhafte logistische Leistung zu vollbringen imstande ist, Abertausende von Masken zu produzieren, zu verpacken und bei der Post aufzugeben oder vielleicht doch über eine Heerschar von Verbündeten verfügt auf deren Existenz der Film bis zu diesem Moment keinen Hinweis liefert (und unter denen sich in McTeiges Überwachungsstaat natürlich auch kein Spitzel befindet), wird der Zuschauer nicht darüber aufgeklärt, warum sich die Empfänger der Pakete aus ihrer bis dahin so demonstrativ zur Schau gestellten Lethargie reißen und demonstrieren gehen.
    Macht man das so, wenn man Masken zugesandt bekommt oder hat V entsprechende Anweisungen in die Pakete gelegt (worauf man dem ... ähem ... neuen Führer natürlich umgehend Gehorsam leistet) ?

    Wenn den Demonstranten nun auch noch Plakate von und Spruchbänder über die Großartigkeit V’s in die Hand gedrückt worden wären, hätte sicher auch der letzte Zuschauer mit einem gewissen Unwohlsein registriert, dass hier der schönste Personenkult seit Stalin betrieben wird.
    Obwohl eindrucksvoll anzusehen, müsste die schier unüberschaubare Masse der sich durch nichts aufhalten lassenden, unbeirrbar voran marschierenden Demonstranten in einheitlicher V-Uniform einen Schauer über den Rücken Eveys jagen (vorausgesetzt sie hat die Lektionen des zu diesem Zeitpunkt bereits toten V verstanden).
    Hier setzt sich keine Masse von Individuen sondern die Masse Mensch in Bewegung, eine einen einzigen Organismus bildende Masse (siehe meine Anmerkungen zu einer von John Steinbeck zitierten Passage im Stammtisch zum Ferrandez-Zyklus).
    Man beginnt den Wahlspruch der Faschisten zu verstehen: "Strength through unity". Indeed !

    Problematisch auch, dass uns am Ende vorgegaukelt wird, dass die Demonstranten eine friedliche Revolution bewirken werden.
    Ist dies wahrscheinlich ?
    Sie haben einen gewaltbereiten Revoluzzer zu ihrer Ikone gemacht und in mindestens einer Szene gezeigt, dass sie die Büttel des Regimes mit der Eisenstange zu bearbeiten bereit sind (nachdem ein Mädchen von einem Fingermen getötet wurde).

    Symbole und Personen sind sicher auch für demokratische Revolutionen wichtig, doch wird in dem Film ein gespenstischer Einheitsblock gebildet.
    Der Comic ist um einiges realistischer, wenn er nach Beseitigung der alten Ordnung und ihrer wichtigsten Repräsentanten das blanke Chaos, Anomie oder wie Moore sich im Original ausdrückt: "Verwirrung" ausbrechen lässt.

    Ein weiteres Beispiel für das Plakative des Films ist die allgegenwärtige, übergroße Leinwand auf der Leinwand mit einem sich ständig in cholerischem Zustand befindlichen, sehr eindimensional gezeichneten Führer Sutler.
    Im Comic (dort heißt er Susan) ist dieser zwar auch ziemlich von der Rolle, verfällt aber eher leise in einen ihn immer weiter von der Realität entfernenden Dämmerzustand des Wahnsinns. Moore konfrontiert uns auch mit der verschrobenen Gedankenwelt seines Despoten, seiner Ideologie, seinem verkorksten Leben.
    Im Film ist Sutler auf eine permanent wutentstellte Fratze reduziert.


    Die Gebrüder Wachowski, die für das Drehbuch verantwortlich zeichnen, beglücken den Zuschauer zudem mit einer ganz persönlichen Verbeugung vor der Political correctness.
    Sie erfinden für den Film die Figur des Fernsehproduzenten Gordon Deitrich. Damit die ganz Doofen unter den Zuschauern merken, wer von Sutler und seinen Polit-Gangstern verfolgt wird ist dieser nicht nur subversiv sondern auch noch homosexuell und im Besitze eines Koran (Herr, gib’ mir Kraft ! Der beschränkte Zuschauer muss wirklich alles zentimeterdick aufs Brot geschmiert bekommen.)

    Deitrich moderiert eine Sendung in der Sutler durch den Kakao gezogen wird, die so unglaublich schlecht und schlichtweg unlustig ist, dass man verstehen kann, dass er dafür inhaftiert wird, allerdings nicht, warum das im Fernsehstudio anwesende Publikum vor Begeisterung tobt (ach ja, stand wohl so im Skript).

    Deitrich zeigt sich aber nicht nur außerstande eine humorvolle Sendung zu produzieren, er ist auch noch so beschränkt, sich nicht der Gefahr bewusst zu sein, der er sich mittels seiner derben Späße ausgesetzt hat. Jedenfalls zeigt er sich in einem Gespräch mit Evey hiervon äußerst unbeeindruckt, woraufhin sich der Zuschauer zu fragen beginnt, ob die Regierung denn nun wirklich so rücksichtslos ist wie man uns das zuvor Glauben machte.

    Aber natürlich wird Deitrich verhaftet. Zu dieser Zeit befindet sich Evey in dessen Wohnung. Sie versteckt sich geschickterweise unter dem Bett, da allgemein bekannt ist, dass blöde Faschisten nie unter Betten gucken, obwohl sie die Wohnung durchsucht haben müssen, denn kurze Zeit später erfahren wir, dass Deitrich hingerichtet wurde, da man einen in seiner Wohnung versteckten Koran gefunden hat.
    Naja, erstmal abgezogen und dann wieder gekommen ...

    Warum Deitrich ? Als V Evey seiner Spezialbehandlung unterzieht reichte ihr der Anarchist einige auf Toilettenpapier geschriebene Botschaften von Valerie, einer aufgrund ihrer lesbischen Neigung inhaftierten und ermordeten Frau. Die Szene, in der V gegenüber einer zweifelnden Evey feststellt, dass Valerie real existiert hat, ist außergewöhnlich gut gelungen (auch im Film). Warum Ihr den Effekt nehmen indem man die Problematik doppelt, dem Zuschauer die Überdosis verpasst ?

    Auch die für den Film erdachte und offenbar als reizvoll empfundenen Liebesgefühle V’s für Evey wirken unangebracht, verwischen Moores Intention, V als der Menschheit entrückte Verkörperung des anarchistischen Geistes darzustellen.
    Die Kussszene zwischen den beiden war zudem wenig romantisch, sie wirkte kalt.

    Selbst die kleinen Dinge stören:
    Die Film-Evey ist eine Schönheit. Sie ist zwar nicht sonderlich glücklich, aber steht mitten im Leben, hat einen guten Job.
    Die Comic-Evey ist ein 16jähriges, durchschnittlich aussehendes Mädchen, die, eigentlich am Anfang ihres Lebens stehend, schon am Ende ist. Sie ist bereit sich zu prostituieren.
    Moore hat seine Evey mit Bedacht "ganz unten" positioniert, das macht seine Evey für V leichter formbar. Aber so etwas muss man als Drehbuchautor natürlich erstmal erkennen.

    Wie im Abschnitt über den Charakter Gordon Deitrich schon erwähnt, wurde der subtile Grundton des Comic völlig zerstört.
    Dieser wurde entweder ins Reißerische verkehrt oder aber verwässert.
    Selbst in Bereichen, wo dies nicht sonderlich auffällt. Da wäre das Leitmotiv der Sutlerschen Regierung (Film): "Strength through unity, unity through faith." Bei Moore heißt dies: "Strength through purity, purity through faith." Sicher, scheinbar kein Unterschied von besonderer Relevanz, aber das Comic-Motto beinhaltet eine Andeutung, die durch die Verallgemeinerung im Film verschwindet: es spielt an auf den im fiktiven englischen Regime praktizierten Rassismus.
    In diesem Zusammenhang sei auch die Szene erwähnt, in der V über das Verschwinden der Labels Tamla Motown und einiger Musiker sinniert (Seite 19, Bild 2). Kein Wort der Erklärung, warum. Vom Leser wird Mitdenken verlangt.

    Nicht nur unsubtil sondern schlichtweg falsch wird der Film auch in Bezug auf Guy Fawkes. Im Comic muss man sich seine Meinung über diese authentische Gestalt ganz im Sinne V’s selbst bilden.
    Im Film wird Fawkes als Freiheitskämpfer bezeichnet, was – gelinde gesagt – auf ein ziemlich verzerrtes Geschichtsbild schließen lässt.

    Weitere Lowlights aus dem Gruselkabinett:
    Das konspirative Treffen mit dem Kommissar und seinem Helfer in einer Verkleidung, die jeder Dummkopf als Verkleidung durchschaut, nur nicht die Herren Polizisten.

    Die Versuche, den Film mit Humor zu würzen (V in Schürze) sind schlichtweg blöd.
    Zum einen wird er als eine Art übermenschliches Wesen aufgebaut, zum anderen zeigt man ihn in einem angesichts seiner Maskierung lächerlich wirkenden Outfit, erfolgt seine Demontage für einen billigen Gag.

    Über die grauenhafte Sendung des Gordon Deitrich hülle ich im Weiteren lieber den Mantel des Schweigens

    It goes on and on and on ...

    So etwas passiert, wenn die Vision eines genialen Schreibers von Leuten interpretiert wird, die die Essenz des Originals nicht verstanden haben.
    Aber ähnlich geht’s ja vielen großen Autoren der Menschheitsgeschichte, die sich vornehmlich aufgrund ihres bereits länger zurück liegenden Verschiedenseins der Neuinterpretationen ihrer Stücke nicht erwähren können.
    Neuinterpretationen, die zwar auch ihre Berechtigung haben, die aber nur in Ausnahmefällen den ursprünglich beabsichtigten Tonfall treffen.
    Geändert von felix da cat (03.04.2006 um 17:45 Uhr)

  15. #15
    Verstorben Avatar von hipgnosis
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    Veriss und Versöhnliches

    Nachdem nun @felix seinen derben Veriss zur Filmadaption erläuterte, möchte ich doch nicht umhinkommen, darauf einzugehen und zumindest versuchen etwas Positives zum Film beizusteuern.

    Erstmal vorneweg eine Erklärung in eigener Sache. Ich besuchte den Film Anfang letzter Woche - zu dieser Zeit hatte ich es gerade mal geschafft die ersten beiden Alben des Carlsen Comics zu lesen - also gerade mal ein Drittel der gesamten Handlung.
    Zurück aus dem Kino - bei dem mich ein guter Freund begleitete, der ebenfalls das Comic zur Gänze gelesen hat - sinnierten wir etwas über die Handlung. Natürlich konnte ich nur zu einem gewissen Teil mitreden - und wurde durch den Film auch etwas um die Überraschungen im Comic gebracht - aber es ging leider nicht anders.
    Und obwohl ich mich zu dieser Zeit an einigen Kleinigkeiten störte, empfanden wir beide den Film als recht gelungene Unterhaltung. Und daran hat sich auch bis heute nicht viel verändert.
    Nicht weil ich nach Lesen des Comics eines besseren belehrt wurde und einige Schwachstellen des Filmes deutlich erkennen muss - sondern weil ich mit einer relativ geringeren Grundhaltung diesen Film besuchte und wenn ich ihn mal völlig vom Comic losgelöst betrachte, als eine spannende und gute Hollywood-Produktion erachte.

    Wenn man wie @felix mit einer Riesen Erwartungshaltung in diesen Film geht - weil man bekanntermassen großer Fan des Comics ist - kann ich den Unmut völlig nachvollziehen.

    Aber ernsthaft - wer hat von den Wachowski-Brüdern etwas anderes erwartet als Action mit Bullettime-Effekten.
    So schauderte es mich dann auch vor Beginn des Filmes eigentlich mehr - als danach. Denn so reißerisch wie z.b. Matrix kommt V wie Vendetta schon lange nicht daher.
    Aber um Moore´sche Intention 1:1 umzusetzen, hätte der Film nie in die Hände Hollywoods gelangen dürfen. Hier herrschen einfach andere Gesetze - und was im Comic noch feinfühlig und subtil erdacht wurde, muß für die Zuschauermassen kompatibel auf die Leinwand gezaubert werden. Insofern gelang m.E. der große Spagat zwischen kommerziellen Popcornkino und halbwegs gelungener Comicumsetzung gar nicht mal so schlecht.

    Aber mehr zur Handlung.
    Die größten Schwachstellen sind wie schon in meinem Kurzstatement am Ende des 8. Postings betont und noch einmal von @felix verdeutlicht die völlig falsch interpretierte Haltung des Volkes.
    Dies beruht leider auf der Tatsache, daß der gesamte Film auf den einen Hauptprotagonisten V fokusiert ist und im Gegenteil zum Comic die anderen Charaktere wesentlich schwächer beleuchtet werden. Insofern konnte dann auch nicht Evey zur Anarchie ausrufen, sondern V selbst sprach zur willigen Menschenmenge - Schade, das hätte man definitiv anders und besser machen müssen.

    Eine weitere Schwachstelle sind natürlich einige Logikfehler, wie das Sprengen des Parlaments, die falsche historische Einstufung Guy-Fawkes oder von mir aus das Verlegen der U-Bahn Gleise, welches irritiert.
    Aber all diese Dinge sind für das Funktioniren der Filmhandlung gar nicht sonderlich relevant - sondern stossen nur bitter auf, wenn man den Comic kennt und die Materie beherrscht.

    Unter dem selben Aspekt sollte man auch die Effekthascherei sehen - was im Comic noch durch Hintergrundtexte und Zeichnungen initiert werden kann, muss im Film ganz anders gestaltet werden. Ich will jetzt gar nicht die Kampfsequenzen gut heissen - doch ohne diese würde doch ein Film in diesem großen Masstab gar nicht funktionieren - auch hier greifen wieder die völlig verschiedenen Gesetzmäßigkeiten und Regeln der beiden unterschiedlichen Genres.

    Um mal einige Beispiele zu nennen in denen der Film exzellent die Comicszenerie umgesetzt hat, und das trotz viel Pomp und Getöse.

    - Die gesamte Behausung V´s inkl. der Schattengalerie
    - Die erste Sprengung des Parlaments - die ja auch wie im Comic richtig gezeigt wurde - und das Feuerwerk mit dem überdimensionalen V am Himmel
    - Die gesamte Sequenz der Hinrichtung Bischof Lillimans
    - Die dezente Tötung Delia Surridges - hier wurde rein gar nichts dazu erfunden.
    - Die Umsetzung der Staatsorgane - Nase, Mund, Finger, Augen
    - Die Vorsehung - der Supercomputer, der alles und jeden überwacht.
    - Der Führer der im multimedialen Zeitalter über riesige Bildschirme seine Untertanen delegiert.
    - Finchs Besuch in Larkhill und die gezeigte Genesis V´s aus dem Feuer
    - die inszenierte Folter Evey´s einschließlich des Briefes auf Toilettenpapierseiten
    - V´s Einzug nach Walhalla



    Natürlich sind viele Kleinigkeiten überzogen und selbstverständlich hat man im Drehbuch an vielen Stellen etwas dazukreiert, oder an anderen Stellen weggelassen.
    Und sicherlich kann der Film nicht annähernd die komplexe, facettenreiche Tiefe des Comics erreichen - aber witzigerweise kommt das Grundmotiv des Comics dennoch rüber.
    Die düstere Stimmung, die beklemmende Atmosphäre werden auf Ihre Art und Weise erreicht - und das trotz aller Handlungsfehler bezogen auf das Original.

    Und man findet bestimmt eine Menge Kleinigkeiten an denen man rumnörgeln könnte, wenn man nur tief genug gräbt - aber die Optik Evey´s spielt hier in meinen Augen eine völlig untergeordnete Rolle.

    Schlimmer war definitv die Rolle Deitrich´s - keine Ahnung warum das in den Film eingebaut wurde - völlig daneben.
    Und auch der Führer (Leader) wurde Kanzler genannt - eine Kleinigkeit, die mich ständig nervte - warum auch immer.
    Auch wurde der chronologische Ablauf des Comics oft verändert - was allerdings bei reiner Betrachtung des Films (nicht im Vergleich zum Comic) für sich nicht weiter negativ auffällt.
    Vielleicht wurde auch die anfängliche Lyriksequenz etwas übertrieben - oder auch nur mäßig synchronisiert.

    Ich möchte den Film nicht beschönigen und gewiss nicht in den Himmel loben - doch hier einfach von einer völlig vermurksten und miserablen Comicumsetzung zu sprechen, geht mir persönlich viel zu weit und würde sich auch nicht mit meinen persönlichen Eindrücken decken.

    Es gibt zwei Gruppen, denen ich diesen Film nicht empfehlen würde.

    Einerseits die absoluten Comicenthusiasten, bzw. Puristen bezogen auf Alan Moore/David Lloyds Werk, die sicherlich enttäuscht sein müssen, da der Fim nicht 1:1 umgesetzt wurde und die politische Brisanz nicht voll entfalten kann.

    Und andererseits allen, die an Comicverfilmungen an sich nicht die rechte Freude haben

    Allen anderen kann ich den Film zur kurzweiligen Unterhaltung nur weiterempfehlen, vorausgesetzt sie lassen sich generell auf Actionkino made in Hollywood ein.
    Geändert von hipgnosis (04.04.2006 um 13:08 Uhr)

  16. #16
    Verstorben Avatar von hipgnosis
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    Verwirrung

    Ich habe mir nun noch mal meine Comic-Notizen vorgenommen, um die Szene mit Gordon Deitrich zu analysieren.

    Wir sagten ja schon, daß diese Sequenz im Film völlig überzogen und unglaubwürdig dargestellt wurde.

    Aber auch im Comic fehlt mir der logische Zusammenhang.
    Evey ist plötzlich in Gordon´s Haus als " Untermieterin ".
    Es wird nicht erklärt, wie sie dahin kommt, wer Gordon überhaupt ist, welchen Geschäften er nachgeht usw.
    Er gewährt Ihr Unterschlupf - dann gibt es eine Bettszene - ist das etwa die Belohnung für seine Fürsorge!? Ok, sie verweilt über einen längeren Zeitraum bei ihm zu Gast - da könnte sich natürlich schon etwas ergeben haben.
    Hat Evey sich in Ihn verliebt - oder ist er gar der Vaterersatz - will sie V aus Ihren Gedanken verdrängen - oder ist es doch nur lediglich ein Dankeschön?
    Die Szene im Varitée ist auch nicht viel aufschlussreicher und zu guterletzt wird Gordon an der Tür massakriert! Für was eigentlich - besonders schwer wurde den Tätern das Ganze auch nicht gemacht.
    Zum Schluss ist Evey wieder dort angelangt, wo sie zuvor schon einmal war - sie ist wieder alleine.

    Ich glaube ich habe irgendwo etwas übersehen - aber an dieser Stelle will sich mir die Storyline einfach nicht erschliessen - bitte um Aufklärung!



    Was übrigens im Film überhaupt nicht angesprochen, auf das im Comic jedoch großen Wert gelegt wurde - ist die Parallelgeschichte mit Rose Almond.
    Aber auch diese wird weder im Film noch im Comic für die Haupthandlung benötigt, macht allerdings als Rahmenhandlung im Comic sehr viel Spaß.

    Aber das muss man ja leider an allen Filmen bemängeln, die Literatur in welcher Form auch immer zur Grundlage haben, daß oft scheinbar nebensächliche Handlungselemente zwecks linearem Erzählrhytmus geopfert werden.
    Geändert von hipgnosis (04.04.2006 um 13:52 Uhr)

  17. #17
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    Zum Film kann ich noch nichts sagen, weil ich den noch nicht gesehen habe.


    Zum Comic: V wie Vendetta ist die erste Geschichte von Alan Moore, die ich gelesen habe. Ich kann jetzt schon verstehen, warum um den so ein Aufheben gemacht wird, denn V wie Vendetta ist wirklich gut. Zu Inhalten und Protagonisten habt ihr ja schon umfangreiche Analysen abgeliefert. Es ist schon ausgesprochen raffiniert, wie Alan Moore politische und philosophische Themen mit psychologischen Charakterstudien zu einer ebenso spannenden wie düsteren Story verknüpft.


    Die Sache mit Gordon: Es werden im Comic ja mehrere Sachen nicht erklärt, das fand ich an der Stelle auch nicht weiter störend. Bei der Affäre zu Gordon mögen Gefühle der Dankbarkeit eine Rolle gespielt haben aber für Evey war schon auch Liebe im Spiel, zumindest hab ich das so verstanden.

  18. #18
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    @Josias:
    Endlich ! Vom Monolog (ich bekenne mich schuldig) zum Dialog zum Trialog.

    @hipgnosis:
    Die beiden Gordons sehe ich nicht als identische Personen. Zu unterschiedlich sind ihre Charaktere.

    Warum V Evey aussetzt ?
    Ich denke die Erklärung hierfür findet sich in dessen Lied "Vicious cabaret". Dort heißt es:

    "There's a girl who'll push but will not shove
    And she's desperate for her father's love
    She believes the hand beneath the glove
    May be one she needs to hold

    Though she doubts her host's moralities
    She decides that she is more at ease
    In the land of Doing-as-you-please
    Than outside in the cold"
    (Seite 91, Bilder 5 und 6)

    Da ich die Übersetzung nicht kenne, weiß ich nicht, ob das in der deutschen Ausgabe so 'rüberkommt wie von Moore intendiert. In jedem Fall liest sich das wie eine Begündung dafür, Evey eine erste praktische Lektion in geistiger Unabhängigkeit zu geben (die zweite, brutalere Methode folgt direkt im Anschluss).

    Es spricht einiges dafür, dass der Kontakt Eveys zu Gordon zufällig zustande kam, mithin ausgeschlossen werden kann, dass Gordon für V eine Art "Mittelsmann" war.
    Auf Seite 100 wird Evey von V auf der Straße ausgesetzt, auf den Seiten 102 und 103 geistert sie ziellos durch das Viertel.
    V ist zu dieser Zeit mit seiner Sendung aus dem Jordan Tower beschäftigt.
    Er macht keine Anstalten, Evey in irgendeiner Weise in Richtung Gordon zu lenken.
    Wir sehen sie erst auf Seite 124 wieder, nun mit Gordon unter einem Dach wohnend.
    Evey glaubt an ein zufälliges Zusammentreffen (Seite 127, Bild 2).
    Gordon wurde von Evey über V informiert, er redet über ihn wie über einen Fremden (Seite 124, Bild 5).
    Das beruht durchaus auf Gegenseitigkeit (Seite 169). V benutzt Worte wie "your lover", "he" und "him", nie den Namen "Gordon" wie es bei einer vertrauten Person der Fall wäre.
    Im Übrigen scheint mir V Inbegriff des Einzelgängers.

    Evey empfand mehr als Dankbarkeit für Gordon. Auf Seite 169, Bild 3 sagt sie zu V: "When you threw me out I went to live with somebody. I … I was in love with him. I was happy."

    V erwidert, dass Gordon ein Verurteilter, ein Sträfling war, der im Schmutz nach Abfall klaubte und den es erwischt hat, weil es jeden Inhaftierten irgendwann einmal erwischen muss.
    Evey: "How did you know what happened to Gordon ?"
    V:"It’s not an uncommon story, Evey…."
    Was natürlich nicht erklärt, woher er so gut über Gordon Bescheid weiß.
    Die Lösung dafür erfahren wir auf Seite 220, Bild 2: V hat Zugang zu allen Monitoren der Stadt, die auch in Privatwohnungen angebracht wurden (Seite 228).

    Daher resümiere ich: V hat Evey nicht in die Arme Gordons getrieben, war aber durch die Fähigkeit, diesen ständig zu beaobachten, in der Lage im Falle einer sich etwaig ergebenden kritischen Situation einzuschreiten.
    Schließlich wollte er Evey nicht umbringen sondern nur eine "Lektion" erteilen.

    Warum Gordon sterben musste ?
    Nun, er bewegte sich in einem ungesunden Milieu.
    Nicht nur, dass er seine Freizeit in einer Absteige (Kitty-Kat Keller, Seite 126, Bild 2) verbrachte, er kannte offenbar auch jeden dort ein und ausgehenden Kriminellen.
    Dass er selbst in dunkle Geschäfte verwickelt war wird schon auf Seite 128, Bild 6 angedeutet.
    Wie dem Gespräch mit Ally Harper auf Seite 135 zu entnehmen, liegt das Motiv für den Mord darin, dass Gordon nicht akzeptieren wollte, dass sein Anteil an illegalen Alkoholgeschäften stark gemindert werden sollte.
    Geändert von felix da cat (04.04.2006 um 19:58 Uhr)

  19. #19
    Mitglied Avatar von abaddon
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    Nun ja, ihr ward ja alle in den letzten tagen wirkilich fleißig und so ist das nachlesen mangels zeit zum überfliegen der sehr umfangreichen texte verkommen. Zum einen: Alan Moore ist gut, das steht außer frage, dennoch ist er ein extremer exzentriker und solche menschen sind meist sehr radikal in ihren ansichten und mitunter leider auch stur. Das ihm die die verfilmung der extrordinary gentelman nicht gefiel kann ich sehr gut nachvollziehen, der film ist wohl einer der schlechtesten comicverfilmungen aller zeite. Das ihm Form Hell nicht gefiel, nunja ich fand den film sehr gut habe aber nie das comic gelesen. V wie Vendetta ist bestimmt kein schlechter film, ich fand ihn auch sehr gut, das comic (ich besitze die schwarz-weiß speed ausgabe) ist hohe kunst des comicromans, aber welche roman verfilmumg wird schon der buchvorlage gerecht. So gesehn muss man nunmal änderungen und abstriche in kauf nehmen, will man eine gute comicverfilmung genießen. Was ich gehört habe ist das herr moore der meinung ist der film weise zu viele lücken auf, das mag schon sein aber dafür haben wir einen film und keine öde trilogie, außerdem wurde der inhalt gut in die modernen politischen probleme umgesetzt. Man kann nun mal 2005 keinen film über die traurigen politischen verhältnisse über ein england der 80iger jahre machen, vorlallem wenn man ein jüngeres publikum ansprechen will, wie die meisten comicverfilmungen.
    Was mir an dem comic gefällt ist die düster utopie einer postapokalyptischen welt, etwas was auch sehr schwer auf film zu bannen ist. Ich finde aber das die welt des filmes in der die gefahr unter der oberfläche einer "normalen" modernen welt lauerd ganz gut dargestellt wird. Würde moore das comic heute machen wäre er sicher auch anders an die sache herangegangen. Und bitte se ist eine comicverfilmung, das suchen von logikfehlern ist ngefähr so sinnvoll wie in einem sf film physikalische grundlagen zu verlangen!

  20. #20
    Verstorben Avatar von hipgnosis
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    Ah - es kommt Leben in die Bude - gut so!

    @abaddon - na da sind wir ja ziemlich einer Meinung - obwohl erwähnt bleiben sollte, daß Moore/Lloyd den Comic zur Zeit 1988-1990 entwarfen und sie sich auch deshalb nicht genötigt fühlen müssen, ihn in heutige Zeit zu transportieren.

    Da haben es die Drehbuchautoren eigentlich leichter - wenn sie ein so gutes Basiswerk vor sich haben und man würde sich freuen, wenn ihnen gelänge noch mehr als die düstere Atmosphäre und den Grundtenor der Anarchie rüber zubringen.

    Also ganz kritiklos möchte ich den Film dann nun doch nicht durchgehen lassen.

    Aber wie gesagt - ich verstehe Deine Aussage und fühlte mich wie Du gut unterhalten.

    Witzigerweise ist es den Comicautoren schon seinerzeit gelungen, ein Werk zu erdenken, welches unsere heutige Zeit fast noch besser reflektiert - alle Achtung!



    Zitat Zitat von felix
    ... V hat Evey nicht in die Arme Gordons getrieben + ... In jedem Fall liest sich das wie eine Begündung dafür, Evey eine erste praktische Lektion in geistiger Unabhängigkeit zu geben
    Ersteres hatte ich gar nicht so interpretiert und zweiteres ist auch nur eine Mutmassung.

    Obwohl Du einige Stellen zitierst bleibt die Person Gordon Deitrich für mich sehr rätselhaft.
    Woher er kam - warum Evey bei Ihm war - das sich eine Liaison anbahnte - warum er starb - all diese Dinge sind reinen Vermutungen ausgesetzt.
    Ich gehe schon zum Großteil mit Deiner Analyse konform - wollte nur mal verdeutlichen, daß auch Moore/Lloyd hier ein Handlungselement einbauten, welches nicht 100% logisch erklärt werden kann.
    Das entschuldigt zwar noch nicht den Auftritt Gordon´s im Film - aber es zeigt die Schwierigkeit der Darstellung etwas besser auf!

    Übrigens das Zitat des Liedes in deutsch übersetz lautet:

    " Das Mädchen, das nicht mehr töten will,
    sucht die Liebe Ihres Vaters ganz still und hofft,
    sie zu finden, trotz mancher Unbill,
    bei dem Mann der eine Maske trägt. "

    " Sie bezweifelt zwar seine Moral,
    doch hier gefällt es Ihr allemal
    besser als in jenem Jammertal,
    das bislang hat sie geprägt "

  21. #21
    Mitglied Avatar von abaddon
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    @hipgnosis

    Stimmt schon der film hat seine schwachpunkte (aber welcher film hat das nicht), trozdem wollte ich nicht gleich mit den kritikpunkten anfangen.

    Was Gordon betrifft hätte ich 2 vermutungen:
    1) Es soll gezeigt werden, dass Evey nirgendwo sicher ist, die welt ist einfach voller gefahren und böser menschen. Nur in der schattengallerie ist sie sicher (einfach ausgedrückt!!!)
    2) V stößt Evey für kurze zeit ins "wirkliche" leben zurück um sie auf die zukünftigen prüfungen vorzubereiten! Schließlich tut er ihr anschließend noch viel schlimmere dinge an!

  22. #22
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    Zitat Zitat von hipgnosis Beitrag anzeigen
    @abaddonobwohl erwähnt bleiben sollte, daß Moore/Lloyd den Comic zur Zeit 1988-1990 entwarfen
    Korrektur: Der Comic entstand 1982-85 (etwa der Höhepunkt der Thatcher-Ära, mit Rekordarbeitslosigkeit und Bergarbeiterstreik), wurde aber nicht vollendet, 88-90 entstand die Neuauflage bei DC und der Abschluss (das dritte Buch).

  23. #23
    Verstorben Avatar von hipgnosis
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    Zitat Zitat von abaddon Beitrag anzeigen
    Stimmt schon der film hat seine schwachpunkte (aber welcher film hat das nicht), trozdem wollte ich nicht gleich mit den Kritikpunkten anfangen.
    Nach dem @felix´schen Veriss kann es ja kaum schlimmer kommen für den Film, oder!?

    Zitat Zitat von J.Felix
    Der Comic entstand 1982-85 wurde aber nicht vollendet, 88-90 entstand die Neuauflage bei DC und der Abschluss
    Danke für die Info - ändert aber nichts am Sinngehalt meiner Aussage!

    Im übrigen - so viel Felix ist ja nimmer auszuhalten

  24. #24
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    Gestern habe ich mir den Film angeschaut. Nun, ich kann mich da felix's Veriss nur voll anschliessen. Hätte ich das Comic nicht gekannt, könnte ich vielleicht auch in dem Film einen halbwegs unterhaltsamen Hollywood-Thriller sehen. So habe ich mich aber hauptsächlich geärgert. Ich bin zwar der Meinung, dass man bei einer Verfilmung nicht immer alles 1 zu 1 übernehmen muss. Die eine oder andere Änderung bei einer Verfilmung kann ja durchaus okay sein, vor allem dann, wenn der „Geist“ des Originals getroffen wird (und dafür gibt es in der Filmgeschichte meiner Meinung nach auch durchaus gelungene Beispiele). Was haben nun aber die Wachowski-Brüder aus der Vorlage gemacht? Sie haben einzelne Elemente aus der Geschichte herausgenommen und wie Versatzstücke hin und her geschoben und das ganze mit zumeist wenig gelungenen eigenen Ideen vermanscht.


    Zitat Zitat von felix da cat Beitrag anzeigen
    Wie im Abschnitt über den Charakter Gordon Deitrich schon erwähnt, wurde der subtile Grundton des Comic völlig zerstört.

    Dieser wurde entweder ins Reißerische verkehrt oder aber verwässert.
    Selbst in Bereichen, wo dies nicht sonderlich auffällt.
    Insofern kann ich Alan Moore's ablehnende Haltung schon verstehen. David Lloyd hat sich zwar nicht so negativ geäussert, aber auch gemeint, dass der Film ja ein ganz guter Thriller sei, aber mit der Geschichte im Comic kaum etwas zu tun hätte.
    Ich denke es wäre besser gewesen, sie hätten sich gleich eine eigene Geschichte ausgedacht, anstatt die von Alan Moore und David Lloyd so zu verstümmeln.

  25. #25
    Verstorben Avatar von hipgnosis
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    Zitat Zitat von Josias Beitrag anzeigen
    David Lloyd sagte.... dass der Film ja ein ganz guter Thriller sei, aber mit der Geschichte im Comic kaum etwas zu tun hätte.
    Eben - er ist ein ganz guter Thriller - also an sich kein schlechter Film.

    Und mit der Geschichte im Comic kaum was zutun haben????

    Naja - das ist aber auch eine Riesenübertreibung und nach Moore´s Ablehnung konnte Lloyd sicherlich nicht alles gut heißen - daher für mich eine verständliche Aussage.

    Die Kernaussage des Comics nicht sonderlich gut umgesetzt wäre eine treffendere Aussage - aber die Geschichte als solches erkennt nun wirklich jeder im Film wieder.
    Da lache ich aber mal ganz laut, wenn mir einer erzählen will, daß die Handlung des Comics im Film nicht erkennbar sein soll.

    Ansonsten hätte der Film von einer britischen Produktionsfirma gedreht werden müssen - da hätte ich dann eher die Hoffnung gehabt, daß die Quintessenz des Comics vermittelt worden wäre.
    Tja - hat sich leider keiner in 15 Jahren für interessiert - oder die Autoren haben immer abgelehnt - was ich allerdings nicht glauben kann.
    Denn besonders viel Einfluss scheinen sie ja auf den Film nun wirklich nicht gehabt zu haben.

    Wie dem auch sei - ich werde in meiner Grundannahme weiter bestärkt, daß der Film für die Comickenner und Puristen nicht geeignet ist.

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