Band 1: Das Massaker von Tanque Verde
Eine allwissende Erzählstimme schildert desillusioniert und zynisch die Geschichte der „Six“, einer Gruppe von sechs Personen, allesamt Außenseiter in einer als gnadenlos und brutal beschriebenen Welt. Sie stellt schnell klar, dass der gute alte Western ein Mythos ist, nichts mit der Realität gemein hat, in der die sechs leben. Jeder von ihnen hat eine Geschichte, die geprägt ist von Leid und Unrecht. Der unwahrscheinlichste Zufall führt sie zusammen. Zunächst ist da das Massaker von Tanque Verde. Hier beginnt alles. Hier liegt der Schlüssel. Die Eltern des Jungen, später Kid genannt, sind umgebracht worden. Er findet Trost bei der schönen Prostituierte Elsie, die sich um ihn kümmert. Ein anderer Ort: ein Fort der Armee. Der Deserteur Quintus Jones wird ausgepeitscht. In der Zelle trifft er auf den Chiricahua Tsiishch’ili, verstoßen von seinem Stamm, heimatlos. Wieder ein anderer Ort: ein Überfall der Apachen. Im Planwagen die Nonne Roxanne. Auch sie hat eine Vergangenheit. Und zum Schluss noch der entflohene schwarze Sklave Royal Whitehead. Nacheinander werden die Protagonisten eingeführt, erfahren wir Stück für Stück mehr über sie, über die Hintergründe, über Intrigen, über Motive und nicht zuletzt über den „Wilden Westen“ und auch über die Person, die die Geschichte erzählt. Es geht um Reichtum und die Gier danach, um die moralische Verkommenheit der Gesellschaft, die buchstäblich über Leichen geht. Am Ende reiten die sechs zusammen, zwar nicht in den Sonnenaufgang, aber mit einem gemeinsamen Ziel. Der Vorhang öffnet sich, das Spiel beginnt.
Wieder einmal ein klasse Western. Sehr kurzweilig von Pelaez erzählt. Die vielfältigen Orts- und Perspektivwechsel führen zu einem Anstieg der Spannungskurve. Dazu trägt auch bei, dass die Identität der erzählenden Person verhüllt bleibt, der Schleier aber im Laufe der Geschichte ein klein wenig angehoben wird, um den Leser Vermutungen oder Spekulationen zu ermöglichen. Nachdem mich Pelaez bei „Parallel“ nicht uneingeschränkt überzeugt hat, war ich von „Herbst an der Bucht der Somme“ begeistert. Mit „Six“ hat er wieder eine starke Story abgeliefert. Alles dreht sich um die Frage, was Mythos, Legende und was Realtität ist. Nicht zufällig befasst sich auch sein informatives, sieben Seiten umfassendes Nachwort mit diesem Thema. Insbesondere ist nachzulesen, welche Rolle Hollywood dabei spielte. Der Bezug zu „Der Mann, der Liberty Valance erschoss“ fällt sofort ins Auge und wird von Paez ausführlich thematisiert. Wenn hier die Protagonisten als Außenseiter dargestellt werden, erinnert mich das aber auch an John Fords „Rio Bravo“. Die Erzählstimme spielt insoweit mit dem Leser. Einerseits nimmt sie für sich in Anspruch, die Realität des Westen zu schildern. Andererseits fördert sie den Mythos, wenn der Kampf der Außenseiter geschildert wird. So bleibt offen, was erzählt wird. Etwa doch die real gewordene Legende? Will die Erzählstimme tatsächlich den Mythos zerstören? Wir werden sehen. Ich bin jedenfalls sehr gespannt auf die Fortsetzung.
Und das Artwork. Sehr schöner feiner Strich. Realistische Darstellungen, gelegentlich mit einer Spur von Funny. Alle Personen mit hohem Wiedererkennungswert. Ausdrucksstarke Gesichter. Viele detailreiche Hintergründe. Mir hat gefallen, was der Zeichner Casado auf das Papier gebracht hat.
Fazit: Aus meiner Sicht eine klare Empfehlung, nicht nur für Freunde von Edelwestern.
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