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    Mitglied Avatar von Zardoz
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    Primordial von Lemire / Sorrentino




    The Dark Side of the Moon. Die dunkle Seite des Mondes. Die Abgründe der menschlichen Seele. Zeit, Geld, Kriegswahnsinn als anonyme Machtstrukturen. Kommt mir doch bekannt vor, wird der ein oder andere Musikfan jetzt einwerfen. Richtig. Pink Floyd. Ist aber schon etwas länger her. 1973. Und die naheliegende Frage, die sich anschließt: Was hat das alles mit Primordial zu tun?



    Wenn ich ehrlich bin, ich weiß es auch nicht so genau. Lemire, der verdientermaßen hochgelobte Autor, und Sorrentino, der von mir ebenfalls sehr geschätzte Künstler, werden sich schon etwas dabei gedacht haben, wenn sie uns in leicht abgewandelter Form das Cover des gleichnamigen Albums auf Seite 27 des Comics präsentieren. Es zeigt vor schwarzem Hintergrund die Brechung eines weißen Lichtstrahls an einem Prisma, der sich dadurch in die Spektralfarben auffächert. Diese setzten sich im aufgeklappten Teil des Covers fort und beschreiben graphisch einen Herzschlag, wie er am Anfang und am Ende der Platte zu hören ist. Toller Typ, der Zardoz. Was der alles weiß, werdet ihr jetzt denken. Leider muss ich zu meiner Schande gestehen, dass ich aus Wikipedia abgeschrieben habe. Andere würden sagen „zitiert“. Ich war in meiner Jugend auch kein Pink Floyd-Fan. Da stand eher Springsteen ganz oben auf dem Olymp. Aber zurück zum Cover. Das kannte ich zwar, konnte es aber zunächst nicht zuordnen. Da Sorrentino offenbar damit gerechnet hat, das auch Dilettanten sein Werk bestaunen, hat er vorsichtshalber noch „After - Pink Floyd & Thorgerson“ in das Panel hineingeschrieben. Thorgerson ist nicht etwa der Cousin des Donnergottes und auch nicht bei Marvel beschäftigt, sondern Storm (!) Thorgerson, ein britischer Grafikdesigner. Der Mann hieß wirklich so. Was für eine genialer Name. Ich schweife wieder ab. Also. Es gibt natürlich Parallelen zwischen Primortial und The Dark Side of the Moon. Wer will, findet alle oben genannten Interpretationsansätze, Erklärungsversuche bzw. Schlagwörter auch im Comic wieder. Zwingend ist es nicht. Es kommt ganz auf die eigene Sichtweise an. Aber das passt schon wieder ganz gut zu Pink Floyd, deren Texte und Lieder oft rätselhaft erscheinen und in vielfacher Hinsicht interpretationsoffen sind.


    Wem das alles to complicated erscheint, der kann es auch ganz einfach mit einer Wortlautinterpretation versuchen. Primmordial bedeuted soviel wie ursprünglich. Es gibt die sog. Primordiale Nuleosynthese, die Big-Bang Nucleosyythesis. Die Bildung der ersten Atomkerne in den ersten Sekunden nach dem Urknall. Interessante Theorie, von ich aber so gut wie nichts verstehe. Im soziologischen Sinne wird der Begriff im Zusammenhang mit ursprünglicher Bindung verwendet. Die Soziologen verstehen darunter die von frühester Kindheit an vermittelten Gefühle der Zugehörigkeit zu den nächsten Verwandten, zu einer bestimmten Sprache, zu bestimmten Normen und Bräuchen oder zu einer begrenzten und überschaubaren Örtlichkeit (kurz: Heimat). Habe ich natürlich auch alles Wikipedia entnommen. Da sage noch einer, dass Comiclesen nicht bildet. Um es auf den Punkt zu bringen. Von jedem dieser Wortbedeutungen lassen sich Anklänge in der Geschichte finden. Die Reise von Laika, Able und Mrs. Baker, den Protagonisten, führt in gewisser Weise zu den Ursprüngen. Und die Beziehung von Laika und Yelena Nostrovic ist nichts anderes als die einer Mutter zu ihrem Kind. Der Wunsch von Laika zurückzukehren, ist die Suche nach Familie und Heimat - im Kontrast den beiden Affen, die auf der Erde eher schlechte Erfahrungen gemacht haben.


    Damit sind wir „schon“ bei der eigentlichen Story. Der Beginn ist furios. 1959. Die Amerikaner schießen zwei Affen ins All zu einer Jupitermission. Viele Grüße an Stanley Kubrick. Den Rhesusaffen Able und den Totenkopfaffen Baker. Die Mission geht schief. Zwei Jahre später: Dr. Fembrook wird nach Cape Canaveral geschickt. Zu seiner Überraschung soll er nur aufräumen. Alles aussortieren, was noch für ballistische Raketen brauchbar ist. Präsident Nixon braucht so etwas. Er hat die Wahl gegen Kennedy gewonnen und setzt Militär in Ungarn ein. Wir merken, dass wir uns in einer „alternativen Realität“ befinden. Was für ein schöner Begriff. „Fiktive Welt“ wäre zu banal. Für unsere Marvelfreunde ist so etwas Alltag. Paralleluniversen stehen seit Jahren hoch im Kurs. Fembrook ist misstrauisch. Schnell wird klar, dass es sich um eine Verschwörung handelt. Erst recht als ein mysteriöser Mann ihn auffordert, nach Ostberlin zu fahren. Die Russen haben ähnliche Erfahrungen mit Laika gemacht. Klasse geschrieben. Lemire benötigt keine Seite, um sofort das Interesse des Lesers zu wecken. Es wird gleich zu Beginn Spannung aufgebaut. Die Geschichte geht dann grandios weiter, bis irgendwann psychedelische Elemente überwiegen und die Spannungskurve etwas abflacht. Bei mir werden Assoziationen zur Odyssee im Weltraum geweckt. Laika auf Droge. Für meinen Geschmack etwas zu langatmig. Zum Ende wird es wieder spannend. Der Schlussakkord kommt dann relativ schnell und ist wieder interpretationsfähig. Ich fühle mich zunächst etwas ratlos zurückgelassen. Nicht alles erscheint logisch bzw. nachvollziehbar. Je länger ich darüber nachdenke, desto stringenter und folgerichtig erscheint er mir aber. Wenn Berserker Unbound eine Fingerübung für Lemire war, dann ist Primordial nach meinem Verständnis deutlich mehr.


    Und das Artwork? Sorrentino läuft zur Höchstform auf. Hier kann er alles rauslassen, was er in seinem kreativen Baukasten findet. Die düstere, finstere Atmosshäre wechselt nahtlos in ein PopArtfestival und wieder zurück. Alles wird optisch in seine Einzelteile zerlegt und wieder zusammengesetzt. Die Story bekommt erst durch die Bilder seinen Schwung. Mir gefällt so etwas ausgezeichnet.


    Fazit: Lemire/Sorrentino haben mich (wieder) überzeugt. Wer eine Story ala Beck erwartet, wird aber wahrscheinlich enttäuscht. Unabhängig davon lohnt auch hier allein schon das Artwork die Anschaffung.
    Geändert von Zardoz (14.03.2023 um 15:45 Uhr)

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