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    Mitglied Avatar von Zardoz
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    Gullivers Reisen von Galic u. Echegoyen

    Von Leputa nach Japan

    Gulliver in Liliput und im Land der Riesen. Kennt fast jeder. Viele werden, so wie ich, noch die schönen Bilderbücher in Erinnerung haben, die Teil der Kindheit geworden sind. Schon erheblich weniger werden das Buch von Jonathan Swift gelesen haben. Deshalb verwundert es nicht, dass die beiden weiteren Teile weitestgehend unbekannt geblieben sind. Es gibt außer den bereits erwähnten nämlich noch zwei Reisen, die es nicht in Filme oder Bilderbücher geschafft haben. Warum? Der Inhalt erscheint mir sperriger oder verkopfter und eignet sich nur bedingt als Abenteuergeschichte. Swift hat die Geschichte insgesamt als Satire angelegt, als Kritik gegen den absolutistischen Staat, aber auch gegen den unreflektierten Glauben an die (damaligen) Wissenschaften und die Aufklärung bzw. den Glauben an die Vernunft als „Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit.“ Dieser Aspekt tritt hier vielleicht noch etwas mehr in den Vordergrund als in den populären ersten beiden Reisen.

    In der dritten Reise, die Gegenstand dieser Graphic Novel ist, wird Gulliver von Piraten in einem kleinen Boot auf dem Ozean ausgesetzt und gelangt schließlich auf die fliegende Insel Leputa. Die dort lebende herrschende Klasse ist tief in philosophische, musikalische, mathematische und andere wissenschaftliche Gedankenwelten versunken. Diener mit Büscheln müssen den König und dessen Beamte im Gesicht anstoßen, damit diese kurzfristig erwachen, um auf Gesprächspartner reagieren zu können. Weiter geht es nach Lagado, der Hauptstadt, in der die Wissenschaftler alle nur denkbaren verrückten Experimente anstellen, aber nicht in der Lage sind, die einfachsten Grundbedürfnisse einer Bevölkerung zu erfüllen, die in Armut dahinsiecht. Über „Glubbdubdrib“, deren König für einen kurzen Zeitraum Tote zum Leben erwecken kann, verschlägt es unseren Helden nach Luggnagg, wo er mit den Tücken der Unsterblichkeit konfrontiert wird. Zum Schluss landet er schließlich wieder in den Armen seiner Familie.


    Bertrand Galic hält sich im Wesentlichen an die Romanvorlage. Nur sporadisch und äußerst vorsichtig versucht er sich in an einer vielleicht etwas zeitgemäßeren Übersetzung der Geschichte in unsere heutige Lebenswirklichkeit. Wer eine Neuinterpretation unter Bezugnahme auf politische Systeme und Krisen unseres Jahrhunderts erwartet, wird enttäuscht. Was für den damaligen, zeitgenössischen Leser anregend und ansprechend erschienen mag, wirkt heute indes manchmal etwas ermüdend.

    Das wunderschöne Artwork von Echegoyen hingegen, der auch für die passenden, zurückhaltenden, in monochromen Tönen gehaltenen Farben verantwortlich ist, lässt den Leser ganz bestimmt nicht einschlafen. Phantastische Bilder, überwiegend in großflächigen Panels, regen die Phantasie an. Die Zeichnungen verleihen dem Text eine bisher so nicht gekannte, poetische Seite. Schade nur, dass sie in ein Bookformat gepresst werden, das sie nicht vollends zur Entfaltung gelangen lässt. Die Bilder rufen förmlich nach einer Diamant-Ausgabe, entweder in Schwarz-Weiß oder gerne auch in der „farbigen“ Version.

    Fazit:
    Für alle, die Freude an wundervoll gezeichneten Bildern haben, ein Must Have. Allein wegen des Artworks ein Highlight in diesem Splittermonat.
    Geändert von Zardoz (26.10.2021 um 11:59 Uhr)

  2. #2
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    Eine Gesamtausgabe von Gullivers Reisen aus der Bibliothek der Weltliteratur hat mir meine in der DDR lebende Tante 1975 zu Weihnachten geschenkt. Dieses Geschenk halte ich heute noch in Ehren. Vermutlich kannte meine Tante nur die Geschichten der ersten beiden Reisen und wohl auch nur aus Bearbeitungen "für die Jugend" oder Verfilmungen. So ging es mir jedenfalls bis zur Lektüre des Buches, die nun auch schon über 45 Jahre her ist. Von einer erneuten Lektüre der dritten Reise bevor ich das Splitteralbum zur Hand genommen habe habe ich abgesehen. Ich hatte ohnehin nur noch das Kapitel über die Struldbugs (die @Zardoz nicht erwähnt hat) in Erinnerung und nicht vergessen, wie sehr mich dieses Kapitel beim Gedanken an und Nachdenken über Unsterblichkeit ernüchtert hat.

    In der Wikipedia heißt es unter der Überschrift Interpretation: "Die schwebende Insel Laputa wird von vielen Quellen als schwach verschlüsselte Satire auf die Herrschaft Großbritanniens über Irland gesehen, besonders auch der Aufstand Lagados wird als zeitgenössischer Aufstand der Iren gegen Großbritannien interpretiert. La Puta bedeutet auf spanisch: Die Hure. Es ist wahrscheinlich, dass Swift in seiner Satire aufgrund seiner Spanisch-Kenntnisse Wissen über diese Namensgebung gehabt und dies bewusst gewählt hat." Leider wir dieser gedankliche Ansatz dort nicht vertieft. Von allein wäre ich nicht darauf gekommen. Auch haben sich, nachdem ich das Album durchgelesen habe, keine entsprechenden Assoziationen bei mir eingestellt.

    Schade dass die Besprechung durch Zardoz keine Resonanz hervorgerufen hat (was hoffentlich nicht an geringen Verkaufszahlen liegt). Seiner Einschätzung kann ich beipflichten.

    Wünschenswert wäre auch eine Adaption der vierten Reise in das Land der Houyhnhnms durch das Künsterteam.

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